Woher kommt der Hass auf Juden? Sechs Jahre widmete sich der pensionierte Berufsschullehrer Heiner Ehrbeck dieser Frage. Seine Erkenntnisse stellte er im Gespräch mit Eva Raboldt vor. Eine Machtallianz von Kirche und Staat habe den Antisemitismus seit 2000 Jahren propagiert, um Macht und Ausbeutung zu ermöglichen.
Bad Vilbel. Nach zwei Jahren und 15 „starken Frauen“ öffnet die Bürgeraktive ihre gleichnamige Interviewreihe jetzt für die Männer. An einem neuen Ort, der Stadtbibliothek, lädt Eva Raboldt, die Koordinatorin der Selbsthilfestelle, Heiner Ehrbeck ein. Der pensionierte Berufsschullehrer und ehemalige SPD-Kommunalpolitiker hat nach seiner Pensionierung zu studieren begonnen, nach sechs Jahren über das Thema „Antisemitismus, Ausbeutung, Unterdrückung“ bei dem renommierten jüdischen Professor Micha Brumlik promoviert.
Raboldt begann das Gespräch mit einer persönlichen Annäherung an Ehrbeck, den sie als sehr konsequent beschreibt und er sich selbst als jemand, der bewusst anecken möchte. Mit 14 habe er schon den Haushaltsvorstand gemacht, habe während der Schule im elterlichen Betrieb mitgearbeitet. Später wollte er Wirtschaftsprüfer werden, erzählt Ehrbeck, doch da sah er zu wenig Möglichkeit, seine eigenen Ansichten zu vertreten: „Kleinmütig war ich nie.“ Später, als Berufsschullehrer, habe er Aufsätze über aktuelle politische Themen schreiben lassen, „die Literatur hat mir nicht so gelegen“.
Wo sind sie geblieben?
Sein eigentliches Thema, den Antisemitismus, fand Ehrbeck bei einem Friedhofsbesuch. An den akkurat gepflegten Gräbern kam ihm der Gedanke: „Was ist mit den sechs Millionen nicht normal Gestorbenen, wo sind die eigentlich?“ Der Holocaust und die Arisierung – bei einem Gang durch die Frankfurter Straße in Bad Vilbel, auf der einst viele Juden ihre Geschäfte hatten, fragte er sich: „Wie sind eigentlich die Eigentümer zu Eigentümern geworden?“ Die Juden, so habe er später recherchiert, seien schon im Jahr 400 vor Christus verfolgt worden. Die allgemein verbreitete These, den Antisemitismus habe es erst nach 1870 gegeben, sei schlicht falsch, betont er.
Vielmehr gebe es eine 2000 Jahre zurückreichende Geschichte autoritärer Regimes und Diktaturen, „die Hauptbeteiligten sind Staat und Kirche.“ Zur Begründung von Machtansprüchen und zur Ausbeutung vor allem der Juden habe es schon früh antisemitische Gesetze gegeben. Das Kirchenrecht habe die späteren Nazi-Gesetze um Jahrhunderte vorweggenommen, sagt er und verweist auf intensives Quellenstudium kirchlicher Konzile. Die Synode im Jahr 306 habe sexuelle Beziehungen zwischen Juden und Christen verboten, die Nazis erst 1938 („Rassenschande“). Bücherverbrennungen seien schon in der Synode von Toledo 692 verkündet worden – und dass Christen nicht bei Juden wohnen sollten, wurde 1078 in Gerona diktiert.
Judenhasser Luther
Doch auch Philosophen und Revolutionäre waren nicht frei von den Vorurteilen. Über Martin Luthers Antisemitismus ist im Lutherjahr schon berichtet worden, doch auch Nietzsche und Fichte hätten als „protestantische Theologen“ den Hass auf Juden genährt, selbst Karl Marx mit „übelster Polemik“. Dennoch möchte Ehrbeck keine bloße Abrechnung: „Kategorien von Schuld sind müßig, es geht darum, ,wie ist das zu erklären, wer hat welches Interesse?‘“
Wenn man nur jemand Schuld zuweise, „dann ist die Diskussion beendet, man kann dann keine Schlüsse mehr ziehen, wie es künftig anders werden könne“, so Ehrbeck. Er betont, Antisemitismus sei keine Frage des Bildungsstands, „es ist eine Frage der Menschlichkeit.“