An die Pogromnacht gegen die Bad Vilbeler Juden vor 77 Jahren erinnerten die jüdische Gemeinde und Bürgermeister Thomas Stöhr. Angesichts der Terroranschläge von Paris sei diese Mahnung hochaktuell.
Bad Vilbel. Das Gedenken an die jüdischen Opfer der Nazi-Gewalt am 10. November 1938 in Bad Vilbel war wie in den Vorjahren – und doch anders. Etwa 30 Menschen versammelten sich am 18. November am Gedenkstein vor dem Alten Rathaus, der Verkehrslärm rauschte gegen die Reden an.
Fünf Kerzen leuchteten am Gedenkstein. Doch ein Mensch fehlte: Rafael Zur, der am 2. Februar, im Alter von 81 Jahren starb, hatte die Gedenkfeier initiiert. Sein Stolz, Wille und seine Aufmerksamkeit seien nicht gelöscht, sagte der Frankfurter Rabbiner Shlomo Raskin, denn seine Tochter Vered Zur-Panzer setze dies fort. Auch gebe die Zahl 30, die Anzahl der Anwesenden, Hoffnung, dass die Erinnerung weitergetragen werde.
Denn bald gebe es keine Zeitzeugen mehr, sagte Zur-Panzer, „an die Stelle der Erinnerung tritt das Wissen“. Sie blickte auf das einst sehr aktive jüdische Leben zurück. Noch 1903 habe eine Zeitungsnotiz verkündet, „dass aufgrund des jüdischen Feiertags Simchat Thora die Geschäfte geschlossen und alle Vilbeler Bürger eingeladen sind, um mit den Thorarollen zu tanzen“. Dann, am 10. November 1938, hatten sich Horden von Vilbeler SA, SS und Hitlerjugend und ein unorganisierter Mob mit angeschwärzten Gesichtern in der Frankfurter Straße versammelt. „Sie trafen sich, um Juden zu verjagen, zu zerstören, zu rauben und um zu ermorden.“ Ein Getreidehändler, Simon Wechsler, sei auf die Scherben eines umgekippten Getränkelasters geworfen worden, woran er später starb. „Polizei und Bevölkerung schauten dem tatenlos zu“, so Zur-Panzer. Die Juden seien zu Fuß nach Frankfurt gejagt und dort „von der Polizei verhaftet und gequält“ worden.
Doch dieses Grauen ist nicht nur Geschichte, sondern für Zur-Panzer auch ein dringender Appell. Nach den Terroranschlägen von Paris müsse in Europa umgedacht werden: „Antisemitismus und Antidemokratie einiger Migranten aus islamischen Ländern fordern auch von Deutschland, den Prozess des Umdenkens nahe zu bringen. Die weltweite Bekämpfung des fanatischen Dschihadismus muss absolute Priorität der demokratischen Staaten werden.“
Das Pogrom-Gedenken sei für ihn nicht nur ein ganz wichtiger Termin, sondern auch ein bewegender Anlass, betonte Bürgermeister Thomas Stöhr (CDU). Gerade nach den Pariser Anschlägen müsse man sich aussprechen „gegen Verbrechen an unschuldigen Menschen, gegen Verachtung und Ausgrenzung“, sowie den „irrwitzigen Gedanken, dann gottgefällig zu handeln, wenn man Leid und Schmerz über andere bringt“. Dann sprach Shlomo Raskin ein Gebet und der Chor „Shalom Singers“ sang bewegende Lieder, erweckte jüdische Welt zu neuem Leben.