Ein tragischer Todesfall beschäftigte in diesen Novembertagen die Medien und die Gemüter: Die junge, erst 29 Jahre alte US-Amerikanerin Brittany Maynard stand mitten im Leben und war doch todsterbenskrank. Ein Hirntumor wuchs unaufhaltsam und quälte sie immer wieder mit Schmerzen und schlaganfallähnlichen Symptomen. Im Januar wurde ihr Leiden festgestellt. Ende Oktober konnte sie das Leben noch genießen, aber viel Zeit haben ihr die Ärzte nicht mehr gegeben.
Brittany Maynard machte ihren Fall öffentlich mit einer Website und mit Videobotschaften, die Millionen Menschen auf der ganzen Welt gesehen haben. Letzte Woche kam der Tag, von dem sie angekündigt hatte: „Dies ist der Tag, den ich gewählt habe, um angesichts meiner unheilbaren Krankheit mit Würde dahinzuscheiden, dieser schreckliche Gehirntumor, der so viel von mir genommen hat … aber der so viel mehr genommen hätte.“ Sie nahm todbringende Medikamente ein und starb im Kreise ihrer Familie.
Die Diskussion über Sterbehilfe hat das neu entfacht, auch in Deutschland. Und es ist richtig, dass wir über diese Fragen reden, streiten, debattieren: Sollen, dürfen, müssen wir es erlauben, dass Menschen anderen Menschen beim Sterben helfen, wenn es deren dringlichster Wunsch ist? Welche Kriterien legen wir an, um zu beurteilen, ob so ein Wunsch gerechtfertigt ist oder einer Laune, einem Augenblick, einer eigentlich kontrollierbaren Depression entspringt? Wann machen wir uns schuldig an Menschen, die wir bei diesem letzten Schritt nicht unterstützen wollen oder können? Welche Krankheiten – oder gar – welche vermutlich erst später bei einem Menschen ausbrechenden Krankheiten rechtfertigen einen solchen Schritt?
Ich habe keine einfachen Antworten. Niemand hat sie, denn es geht in der Diskussion um das Äußerste des Lebens, und in diesen Grenzbereichen kann es niemals einfache Antworten geben.
Stattdessen habe ich Respekt vor der Geschichte, der Situation und der Entscheidung einer Brittany Maynard, die über ihr Ende selbst bestimmt hat. Aber zugleich merke ich einen deutlichen Widerstand gegen etwas, das in diesem Zusammenhang gesagt wurde. „Ich möchte mit Würde dahinscheiden.“
Das klingt, als wäre der Weg eines Menschen, der seiner Krankheit erst nach einem Kampf erliegt, nicht würdevoll. Würde aber geht nicht verloren, wenn man den Spaß am Leben verliert, Schmerzen erduldet, Leiden aushält. Wenn ich Menschen begegne, die von Altersschwäche gezeichnet sind, von zunehmender Demenz oder von körperlichen Gebrechen wie Parkinson oder Krebs, dann strahlen gerade sie oft eine große Würde aus.
Einen Vorwurf kann man wohl niemandem machen, der wie Brittany Maynard in offenbar auswegloser Situation sich entscheidet. Aber wir sollten – auch durch eine sorgsame Wortwahl – deutlich machen: Wer für das Leben eintritt, auch wenn es schwer erträglich ist, wird dadurch alles andere als würdelos. Denn Würde wurzelt in einem Gegenüber zu Gott und in dem Vertrauen, dass dieser das Leben auch über sein Ende hinaus begleitet. „Auch bis in euer Alter bin ich derselbe, und ich will euch tragen, bis ihr grau werdet. Ich habe es getan; ich will heben und tragen und erretten“, heißt es aus dem Munde Gottes (Jes 46,4). Darauf will ich vertrauen. Das möchte ich jedem Menschen, der bedingungslos für das Leben eintritt, zusprechen und glauben, dass es wahr ist: Selbst in Krankheit und Leid wird Gott uns tragen und uns am Ende erretten. Wie schön, wenn diese Zuversicht unseren November-Blues melodisch übertönt.
Ingo Schütz, Christuskirchengemeinde Bad Vilbel