Es scheint, alles hat sich gegen mich verschworen. Setzt jetzt bei mir eine Trotzreaktion Motto: „Jetzt erst recht!“ ein? Gebe ich auf und ergebe mich? Es kann sein, dass eine extreme Situation ungeahnte Kräfte mobilisiert. Die Prüfung wird doch bestanden, im Team begegnen einem die anderen erneut mit Respekt und Anerkennung, eine langwierige Krankheit wird überwunden. Es kann jedoch geschehen, dass man angesichts von Zeiten, in denen sich von allen Seiten Widerstand gegen einen aufbaut, resigniert, sich dem vermeintlichen Schicksal ergibt, sich alternativlos der übermächtigen Situation überlässt.
Die Frage, die sich in dem einen wie in dem anderen Fall stellt, ist die, ob ich tatsächlich auf mich allein gestellt die böse Zeit bewältigen muss, eben mit der Selbstermutigung: „Da muss ich durch!“ oder mit der einsetzenden Resignation „Da bin ich machtlos!“ Bin ich wirklich auf mich allein gestellt? Muss das sein? Ist das nicht ein Fehlschluss einer geradezu verhängnisvollen Entwicklung, einer Fokussierung auf das Individuum, die kaum noch in Frage gestellt wird? Wir sind überzeugt, dass wir uns sowohl Glück und Erfolg, als auch Scheitern und Niederlage selbst zuzuschreiben haben.
Besonders deutlich wurde das für mich, als in ganz anderem Zusammenhang von der „Ich-AG“ die Rede war. Das überaus hohe Maß an Selbständigkeit und materieller Unabhängigkeit hat es in unseren Wohlstandsgesellschaften mit sich gebracht, dass wir geradezu zwangsläufig in allen Bereichen des Lebens als Ich-AGs agieren. Ohne es zu merken, gewissermaßen „en passant“, haben wir die Solidargemeinschaft aufgekündigt, pendeln zwischen „Da muss ich durch!“, „Der Sieger nimmt alles!“ oder „Pech gehabt!“ und „Da ist nichts zu machen!“ hin und her.
Die Tafeln, das nachbarschaftliche Engagement, auch die Straßenfeste, die hier und dort in den Neubaugebieten zunehmend gefeiert werden, sind wohl als notwendig erkanntes Gegensteuern zu dieser extremen Individualsierung zu verstehen. Vielleicht sollten wir uns auch als Christen etwas mehr auf die Stärke gemeinschaftlichen Handelns besinnen. Die Christen der Anfänge und ihre Lehrer, die Apostel, haben nämlich gerade angesichts der Bedrohungen, mit denen sie konfrontiert wurden, immer die Gemeinde im Blick gehabt. Die Gemeinschaft der Christen wurde ermutigt, ihre Stärke zu gebrauchen, der Kraft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, wie sie Jesus gepredigt und gelebt hat, zu vertrauen. Geradezu Unvorstellbares wird ihnen in der Bergpredigt zugetraut, nämlich „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ zu sein. Mit der Folge, dass die Menschen ihres Umfeldes durch das Handeln der Christen an den Veränderungen, die notwendig sind, teilhaben und – nicht ihnen ein Lob ausstellen, nein, aber Gott angesichts solchen Tuns wahrnehmen und lobenswert finden.
Sollte man als Christ von gemeinschaftlichem Handeln im Erfolgsfall, genauso wie im Scheitern, wo Mitgefühl und Trost gefragt sind, mehr erwarten wollen, als dies „so werden die Leute eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“ (Matth.6,16)?
Herzlich grüßt Sie
Pfarrer Hans Karl Heinrich,
Ev. Kirche Gronau