Eine dichte Hochhaussiedlung wollen sie verhindern: Nach den Umweltschützern stemmen sich auch Anwohner gegen das neue Baugebiet im Stadtzentrum. Sie fühlen sich von der Stadt hinters Licht geführt – weil sie ihnen ihre Grundstücke als Feldrandlage verkauft hatte. Wo bald Wohnungen für 750 Menschen entstehen könnten.
Karben. Sauer sind sie, die Anwohner aus der Luisenthaler Straße. „Es ist von der Stadt aktiv verkauft worden, dass dort nicht gebaut werden dürfte“, sagt Franz Lüttig. Doch jetzt wolle Karben in direkter Nachbarschaft der Reihenhäuser bauen – nämlich auf den Feldern bis zur Bahnlinie und zum Quellenhof hin.
Die Wogen gehen hoch an diesem Abend im Bürgerzentrum. Eigentlich hatte die Stadt geladen, um das Klimagutachten fürs Stadtzentrum vorzustellen. Die Anwohner aber wollen vor allem wissen: Wie viel Bebauung ist geplant? Und welche Folgen hat das fürs Klima auch in ihrem Wohngebiet?
„2010 hat der Regionalverband dieses Gebiet von der Wunschliste der Stadt gestrichen“, erinnert Lüttig. „Jetzt soll es plötzlich politisch möglich sein – das passt nicht.“ Er ist einer von einer Handvoll Anwohnern, die sich locker zusammengeschlossen haben. Aufgeschreckt von den Plänen der Stadt, dass fast direkt neben ihren Häuschen große Mehrfamilienhäuser geplant werden. Die Klima-Folgen der Bebauung hat Fachmann Torsten Nagel vom Karlsruher Ingenieurbüro Lohmeyer im Auftrag der Stadt ermittelt.
Frischluft angeknabbert
Bürgermeister Guido Rahn (CDU) will damit andauernde Diskussionen versachlichen: Immer wieder hatten Umweltschützer die neue Bebauung kritisiert, weil diese den Frischluftstrom im Niddatal störe. Falsch, sagt der Fachmann. „Der Kaltluftstrom wird lediglich unten ein wenig angeknabbert.“ Weil die abendliche Kaltluftströmung bis zu 100 Meter mächtig sei, hätten neue Bauten kaum Auswirkungen.
Diese begrenzten sich aufs direkte Umfeld: In Teilen des Gewerbegebietes Klein-Karben verzögere sich die abendliche Abkühlung ein wenig und es sei höchstens ein Grad wärmer. „Aber dann hält sich dort ja sowieso niemand mehr auf.“
Auch für die äußere Nordostecke des Bad Vilbeler Stadtteils Dortelweil berechnet Nagel eine leichte Reduzierung des Kaltluftstroms. „Aber das liegt bei unter fünf Prozent und wäre wahrscheinlich nicht nachweisbar, wenn wir das später messen wollten.“
Günstig auf die örtliche Durchlüftung wirke sich der Nord-Süd-Grünstreifen aus, erklärt Torsten Nagel. Den will die Stadt zwischen Wohn- und Baugebiet anlegen,
Also müssten die höchsten Häuser des Baugebiets möglichst weit am Rand des Tals stehen, vermutet Anwohner Dirk Zager. Nein, widerspricht der Fachmann: Der Nord-Süd-Kaltluftstrom im Tal speise sich aus Luftströmen, die von Ost und West ins Niddatal herabflössen. Also sollten die Bauten den Hang hinauf eher niedriger ausfallen. Stören das neue, 17 Meter hohe Hochregallager der Kelterei Rapp’s und der künftige Damm der Nordumgehung nicht den Frischluftstrom im Tal? Peter Hofmann vom Umweltverband BUND hat da seine Zweifel. Auch hier verneint der Experte: Das Gewerbegebiet sei bereits in die Berechnungen eingeflossen, erklärt er. Und der Damm stelle kein unüberwindbares Hindernis für die Luft da, weil sie leicht darüberhinweg gleiten könne. Und eben ja stets nur der äußerste untere Rand der 100-Meter-Schicht „angeknabbert“ werde, erinnert Nagel.
Damit die Wohngebiete gut von Frischluft durchflossen werden, sei dort viel Grün nötig, erläutert Sylke Radetzky vom städtischen Fachdienst Bauen. Das könne mit vielen Gärten geschehen oder durch kompaktere Bebauung mit mehr Grün zwischen weniger Häusern. Letzteres hatten zuletzt die Umweltverbände vorgeschlagen.
Der Bürgermeister will alle Wünsche berücksichtigen: „Wir planen nicht über die Köpfe der Bürger hinweg.“ Einfamilienhäuser wie am Stadtrand seien im Zentrum nicht sinnvoll. Andererseits „wollen wir hier keine fünf Stockwerke hinstellen“. Der Bau der Volksbank sei schon „ziemlich groß geworden“, räumt Guido Rahn ein. „Das soll nicht fortgesetzt werden.“
Städtebaulich sinnvoll
So etwas hören die Anwohner mit Interesse. Sie seien ja nicht generell gegen das Baugebiet. „Wir wollen dort bloß keine Plattenbausiedlung“, sagt Dirk Zager. Städtebaulich mache das Bauen dort „absolut Sinn“. „Wegen der Nähe zur S-Bahn“, ergänzt Olaf Stavenow. „Und den Einkaufsmöglichkeiten“, ruft Ina Patzschke dazu.
Aber eine Bürgerinitiative zu gründen, das überlege man schon, so Zager. Mit dem Bürgermeister verabreden die Anwohner spontan ein Gespräch im Mai. „Dann“, sagt Guido Rahn, „finden wir schon eine Lösung für alle.“ (den)