Karben. Ein 24-stündiger Warnstreik hatte die Produktion im Karbener Werk des Automobilzulieferers Siemens-VDO am vergangenen Donnerstag zum Erliegen gebracht. Die Gewerkschaft IG Metall rief die 1460 Beschäftigten des größten Betriebs in der Wetterau zu dem Ausstand auf. Die Gewerkschaft rechnete mit 1100 Streikenden. Selbst Bundesfinanzminister Peer Steinbrück erklärte sich bei einem Kurzbesuch solidarisch mit den Protestierenden.
Offiziell geht es bei den Streiks in der Metallindustrie um die Forderung nach mehr Lohn. Kurz nach Beginn des Karbener Warnstreiks kamen in Baden-Württemberg die Verhandlungspartner zur entscheidenden Runde zusammen. Doch Lohnforderungen gehen den Mitarbeitern des Karbener Werkes derzeit weniger durch den Kopf als die grundlegende Frage nach der Zukunft ihrer Arbeitsplätze. Denn seit Wochen lässt die Siemens-Führung die Beschäftigten im Unklaren, wie es mit dem Werk weitergeht, wenn im Herbst VDO an die Börse gebracht oder aber verkauft wird.
Die IG Metall rechnet mit einer Schließung des Werks, obwohl es schwarze Zahlen schreibt, Siemens-Obere widersprachen – allerdings noch nicht gegenüber den Mitarbeitern. „Wenn das Werk definitiv nicht geschlossen werden soll, warum hat dann niemand den Arsch in der Hose, sich hier vor die Belegschaft zu stellen und das auch zu sagen?“, kritisiert der hessisch-thüringische DGB-Landeschef Stefan Körzell vor den Streikenden in Karben. „Das ist der übelste Auswuchs von Kapitalismus, der hier auf euren Schultern ausgetragen wird.“ Applaus kommt von den mehreren hundert Zuhörern. Dicht besetzt sind die Kirmesbänke, kühle Getränke haben Hochkonjunktur. Der Bierpilz ist eng umlagert. Mit Musik kommt Volksfeststimmung auf, selbst wenn niemandem nach Feiern ist. Mitten unter den Streikenden steht Bundestagsabgeordnete Nina Hauer (SPD) aus Rendel. „Es wäre mir lieber, das wäre hier nicht nötig“, sagt sie und schaut betrübt. Die Schuldigen sieht sie eindeutig im Siemens-Vorstand: „Die Führungskrise blockiert den ganzen Laden. Das ist bedrückend.“ Für Nina Hauer auch eine seltene Situation: Als Politikerin nicht eingreifen zu können. „Wir können nur solidarisch zeigen, dass wir da sind und dort nachfragen, wo wir Kontakte haben.“ Die Hilflosigkeit eint in diesem Moment Streikende und Bundespolitikerin. „Ich kann mir vorstellen, wie sich die Leute hier fühlen“, sagt Hauer. Am gleichen Morgen versuchte Hauer etwas zu unternehmen: Sie lotste Bundesfinanzminister Steinbrück von einem parteiinternen Firmenbesuch in der Nachbarschaft zu VDO und Betriebsratschef Udo Meides. „Er hat das Problem aufgenommen“, sagt Nina Hauer danach zufrieden. Mit dem Fall Karben werde die Frage, dass ein Unternehmen ein Werk schließen wolle, obwohl es profitabel arbeite, eben auch die Bundespolitik beschäftigen. Wirtschaftsethik und Arbeitsplätze contra Turbokapitalimus.
Betriebsratschef Meides spricht kurz nach Streikbeginn zu den Protestierenden vor dem Werkstor und erklärt: „Ich bin stolz auf euch!“ (den)