Wie bei zahlreichen muslimischen Familien, so bestimmten bis zum 9. August die Regeln des Fastenmonats Ramadan auch den Alltag von Familie Kocak aus Klein-Karben. Dazu gehörte, von Sonnenaufgang bis -untergang nichts zu essen und zu trinken, aber noch einiges mehr.
Karben. Familie Kocak sitzt unter einem Zeltdach im Innenhof hinterm Haus beisammen. „Wie lange dauert es noch, bis wir essen?“, fragt der 18-jährige Nureddin seine Mutter. „Noch zehn Minuten“, antwortet Irfaniye Kocak. Die genauen Uhrzeiten, zu denen für Muslime während des Fastenmonats Ramadan das Fasten beginnt und endet, sind in einem Gebetskalender festgelegt und richten sich nach Sonnenauf- und -untergang.
Nun, um 21.16 Uhr, ertönt der Ruf des Muezzin – ganz modern via Smartphone – und zeigt den Muslimen an, dass sie von jetzt an bis zum Sonnenaufgang essen dürfen. Die Familie lässt sich Suppe, Fleisch, Reis, Gemüse und Salat schmecken. Im Fastenmonat gebe es kein besonderes Essen, sagt Irfaniye Kocak.
Geistige Schulung
In Karben hielten die meisten Muslime, die wie seine Familie der Ditib-Gemeinde in Groß-Karben angehören, die Regeln des Ramadan ein, erzählt Vater Mehmet Kocak. Im Fastenmonat Ramadan gehe es nicht nur darum, „nicht zu essen“, betonen die Familienmitglieder. Vielmehr gehe es auch um eine innere Reinigung, „darum, sich und seine schlechten Seiten zurückzunehmen, also um Selbstbeherrschung und die Konzentration aufs Wesentliche“.
Es mache ihnen nichts aus, zu verzichten, sagen die Erwachsenen. „Es ist eine Sache des Kopfes. Und wenn man Gott verspricht, zu fasten, dann schafft man es“, sagt Irfaniye Kocak.
Die Fastenregel gelte nicht für Kranke, Schwangere, Stillende und alte Menschen. „Und es ist ohnehin freiwillig“, sagt Mehmet Kocak. Wer den Ramadan nicht einhalte, werde von den anderen Gläubigen nicht schief angesehen. „Wir richten nicht über andere, das darf nur Gott“, sagt er.
Es gebe mehrere Erklärungen für den Ramadan. „So gibt es als eine der fünf Säulen im Islam auch die Spende an Arme“, erzählt Mehmet Kocak. Durchs Fasten könne man sich besser in das Leben von armen Menschen einfühlen, „mit dem Unterschied, dass wir uns am Abend wieder satt essen können. Da wird man dankbar, und es fördert die Bereitschaft, zu spenden“, sagt der Familienvater.
Mitglied in Vereinen
Er und seine Ehefrau sind als Kinder aus der Türkei nach Deutschland gekommen und hier groß geworden. Das Ehepaar lebt mit den Söhnen Nureddin (18), Osman (17) und Semih (9) in Klein-Karben. „Wir fühlen uns sehr wohl hier und haben viele Kontakte zu Deutschen, etwa in Vereinen“, erzählen die Eltern, die beide nahezu akzentfrei Deutsch sprechen. Irfaniye Kocak hat Industriekauffrau und Apothekenhelferin gelernt und ist seit der Geburt ihrer Kinder als Hausfrau tätig; Mehmet Kocak ist in einer Metallfirma angestellt.
Schon ihre Eltern hätten sich an die Regeln des Ramadan gehalten, erzählen sie. Auch ihre älteren Söhne begehen Ramadan. „Ich tue das aus freien Stücken, niemand zwingt mich dazu“, erzählt Nureddin. Er hat in diesem Jahr Abitur an der Kurt-Schumacher-Schule gemacht und möchte molekulare Medizin studieren. Indes fasten Kinder wie der neunjährige Semih noch nicht, „um sie nicht in ihrer Entwicklung zu gefährden“, erklären die Eltern. Mit seinem Müsli am Morgen hat sich Semih zurückgezogen, „es war ihm wohl unangenehm, in meiner Gegenwart zu essen“, sagt seine Mutter. Von ihrer nicht-muslimischen Umgebung, etwa von Arbeitskollegen, erwarteten sie keine Rücksichtnahme.
Fast wie Weihnachten
„Das Fasten gehört für uns dazu. Beim abendlichen Fastenbrechen mit anderen muslimischen Familien fühlt man sich miteinander verbunden“, erzählt Irfaniye. Auch an diesem Abend geht die Familie nach dem Abendessen in die Moschee in der Bahnhofstraße, um gemeinsam mit anderen Muslimen das Nachtgebet zu sprechen und sich noch ein wenig mit anderen Gläubigen zu unterhalten.
Am Ende des Fastenmonats – in diesem Jahr war es der 9. August – feierten die Muslime ein dreitägiges Fest, auf türkisch Ramazan Bayramî oder Zuckerfest genannt. „Da beschenken sich alle gegenseitig, das ist ein bisschen wie Weihnachten“, sagt Mehmet Kocak, und sein jüngster Sohn strahlt.
Die fünf Säulen des Islam
Das Fasten gilt im Islam als eine Form des Gottesdienstes. Gefastet wird im Ramadan, dem neunten Monat im islamischen Mondkalender. So verschiebt sich der Ramadan elf Tage pro Jahr nach vorn und durchschreitet im Lauf der Jahre alle Jahreszeiten. Das Einhalten des Fastenmonats gehört zu den fünf Säulen im Islam. Zudem zählen zu den Pflichten eines gläubigen Muslimen das Bezeugen der Einheit Gottes und der Prophetenschaft Muhammeds, das täglich fünfmalige Gebet, das Entrichten der Armensteuer und die Wallfahrt nach Mekka. (kre)