Bad Vilbel. Auch bei 32 Grad Sommerhitze bleibt Christoph Matthes gelassen. Das Forschungsrevier des Züchters liegt direkt neben dem Radweg zum Dottenfelderhof: Drei endlose Reihen mit Tomatenpflanzen, die sich akkurat an einem Faden in die Höhe recken. Doch die Früchte der etwa 700 Pflanzen gehen nicht in den Verkauf – sie werden nur für den Eigenverbrauch der rund 100 Mitarbeiter des „Dotti“ verwendet. Und für die Forschung.
„Das, was jetzt wächst, ist bereits die fünfte Generation einer Kreuzung, die 2007 begann“, berichtet Matthes. Sein Hauptziel: die Bekämpfung der Krautfäule. Ein Pilz namens Phytophtora greife schon seit 20, 30 Jahren die Gewächse an. Er ist der größte Feind für im Freiland angesäte Tomaten. Das sind nur noch wenige, die meisten kommen aus dem Gewächshaus. Zu groß ist den Gemüsebauern das Risiko, dass die Früchte bei Regen platzen – oder eben faulen.
Doch Hobbygärtner und Öko-Landwirte setzen auf natürliche Aussaat. Die Neuzüchtungen sollen, wenn nicht immun, so doch tolerant gegen den Pilzschädling werden. Aber es gibt noch ein zweites Ziel: Auch schmackhaft soll das Gewächs werden. Deswegen hat der Züchter zu Anfang zwei Sorten gekreuzt – eine schmackhafte und eine robuste.
Das geht relativ einfach. Denn Tomaten sind Selbstbestäuber. Bevor sich die Staubbehälter der Pollen leeren, entnimmt Matthes sie, streicht Samen der anderen Pflanze darüber. Dann kann er beobachten, welche Pflanzen gut durchkommen. Verkostet werden im August dann nur jene Tomaten, die nicht von der Fäulnis angegriffen sind. Nach der Ernte werden die Zuchttomaten eingelagert und säuern gelassen, um dann die Kerne für die nächste Saat-Generation auszupressen.
Ein Prozess, der viel Geduld braucht. Acht Jahre gehen ins Land, bis eine neue Saatsorte zur Anmeldung kommen kann – zehn, bis sie auch verkauft werden darf, berichtet Matthes. Das gehe sogar relativ schnell, findet der Züchter. Denn bei Getreidezüchtungen seien schon 13 Generationen nötig. Allerdings können Hobbygärtner schon jetzt die Zuchtpflanzen erwerben. Und für den Verkauf liefern auf dem „Dotti“ 3000 weitere Pflanzen Nachschub – je Pflanze sechs bis acht Kilo, erklärt Matthes.
Aufwändige Forschung
Die aufwändige Saatforschung wird finanziert vom Verein Kultursaat, erläutert Matthes. Verkauft wird von der Bingenheimer Saatgut AG in Echzell. Von dort fließe ein „Saatgutentwicklungsbeitrag“ an den Verein zurück. Saat, das ist für die ökologischen Landbauer nicht bloß ein Handelsgut: „Es bildet den Ausgangspunkt der Nahrungsmittelproduktion, es trägt den Strom der Kulturpflanzenentwicklung aus der Vergangenheit in die Zukunft.“ So steht es im Saatgut-Katalog der Bingenheimer.
Auch auf dem Dottenfelderhof wird der allgemeine Nutzen betont, die ökologischen Züchter sprächen sich ab. Matthes sagt auch, dass die Sorten zwar beim Bundessortenamt angemeldet werden, man aber keinen Sortenschutz beantrage. „Saatgut ist Kulturgut und Allgemeingut“, argumentiert er. Schließlich könne man nicht selbst den Daumen auf die Saat halten, wenn man kritisiert, dass „über 70 Prozent des kommerziellen Saatgutmarktes weltweit von nur zehn großen Agrarkonzernen beherrscht werden“.