Die Situation dürfte vielen von uns nicht fremd sein: Freitagabend im Supermarkt, die Schlangen vor den wenigen geöffneten Kassen sind recht lang. Eine weitere Kasse wird geöffnet. Die Letzten werden die Ersten sein.
Zuweilen hört man diesen Kommentar mit einem leicht triumphierenden Unterton. Ursprünglich stammt er vom Ende eines Gleichnisses, das von Jesus im Matthäusevangelium erzählt wird, das Gleichnis von den „Arbeitern im Weinberg“ (Matth. 20,1-16a): Ein Weinbergbesitzer stellt Arbeiter ein. Diesen wird der übliche Tageslohn, nämlich ein Denar zugesagt. Das ist der Betrag, den eine Familie benötigt, um sich einen Tag zu ernähren. Ungewöhnlich ist, von den sozialen Verhältnissen her gesehen, dass der Besitzer des Weinbergs weitere Arbeiter am Vormittag, Mittag und Nachmittag einstellt und äußerst unwahrscheinlich ist die Anwerbung von Tagelöhnern für die letzte Arbeitsstunde und alle erhalten den gleichen Lohn. Da wird etwas zugespitzt, da deutet sich an, dass es in dem Gleichnis nicht um innerweltliche Zusammenhänge geht, sondern um das Himmelreich, die Gotteswirklichkeit.
Das wird besonders deutlich, als der vom Besitzer beauftragte Verwalter mit der Lohnauszahlung bei den zuletzt Eingestellten beginnt und diese den vollen Tageslohn, nämlich einen Denar erhalten. Die Ganztagsarbeiter, die als Letzte an die Reihe kommen, erhalten auch nicht mehr als den ihnen versprochenen einen Denar.
Das löst natürlich ihren nachvollziehbaren Protest aus. Gerecht ist das nie und nimmer, da sind sich auch die Konfirmanden einig. Die Antwort des Weinbergbesitzers an die protestierenden Ganztagsarbeiter, sie hätten doch den versprochenen Lohn erhalten, könnte wie eine Verhöhnung derer erscheinen, die die Last und Hitze des Tages ertragen haben. Interessanterweise finden jedoch junge Menschen dieses Argument wiederum sehr überzeugend, wie auch den Hinweis auf die Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht des so handelnden Weinbergbesitzers.
Jesus hat mit diesem Gleichnis seinerseits nicht die sozialen Grundsätze auf den Kopf stellen wollen, auch wenn man darin zu Recht ein Plädoyer für einen gesetzlich festgeschriebenen Mindestlohn sehen könnte, sondern zeigen wollen, wie Gott handelt. Seine Gerechtigkeit richtet sich nicht nach menschlichen Kriterien, sondern ist allein in seiner Güte und Barmherzigkeit begründet, wenn er die Letzten den Ersten gleichstellt. Wer daran Anstoß nimmt, der muss sich fragen, ob er denn nicht sehr weit von Gottes Gerechtigkeit entfernt ist. Gott aber braucht uns Menschen, um seine Absichten mit dieser Welt und uns umzusetzen, er braucht Menschen, die sich sein Gerechtigkeitsverständnis zu eigen machen und nicht nachlassen, Gottes Gerechtigkeit einzufordern und nicht aus den Augen verlieren, dass diese etwas mit unverdienter Güte und Barmherzigkeit zu tun hat.
Die außergewöhnliche Studienleiterin und Kollegin Sigrid Glockzin-Bever, die leider schon vor einem Jahr heimgegangen ist, hat in diesem Zusammenhang einmal die Frage gestellt, ob sich denn „hinter unserem Schrei nach Gerechtigkeit nicht der Wunsch verbirgt, niemand soll es besser haben als ich. Versuchen wir es doch mal mit dem Grundsatz: Niemand soll es schlechter haben als ich.“ Das hat wohl etwas mit Gottes Gerechtigkeit zu tun, auf die wir doch ohne Ausnahme angewiesen sind.
Der Wochenspruch für den ersten Sonntag der Vorfastenzeit schreibt es uns ins Stammbuch: „Wir liegen vor dir mit unserem Gebet und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.“ (Daniel 9)
Hans Karl Heinrich,
Ev. Kirchengemeinde Gronau