Bad Vilbel. Sogar der Hessische Rundfunk interessierte sich für den musizierenden Reinhold Beckmann, war mit Filmkamera angerückt, fragte im Foyer Zuhörer nach ihrer Meinung und filmte. Na wie ist er, fragt der HR-Reporter. „Nett!“, sagt ein Mann ins Mikrofon. Aber das wird in der „Hessenschau“ zensiert, rausgeschnitten, zugunsten von „ganz angenehm überraschten“ Stimmen. Man kennt sich halt in der Branche.
Die Bad Vilbeler Zuhörer jedenfalls haben ihren Part bei dieser Weltpremiere nach anfänglicher Zurückhaltung vorzüglich gespielt. Der Saal war rappelvoll, vorwiegend mit Vierzig-, Fünfzigjährigen und echten „Bestagern“, Leute eben, die den Beckmann von der Flimmerkiste her kennen. Sie alle wollten wissen: Kann der Beckmann überhaupt singen, Gitarre spielen, komponieren und texten? Das kann er alles. Sein Gesang ist gut, er trifft die Töne sauber, die Stimme stimmt. Die Musik ist mehr als nur anhörbar, sie ist über weite Passagen schön, mal verpopt, mal jazzig. Die Musiker, mit denen er sich umgeben hat, sind durch die Bank klasse, vor allem Gitarrist Andreas Dopp sowie Pianist und Trompeter Jan Peter Klöppel, aber auch Thomas Biller (Kontrabass) und Helge Zumdieck (Schlagzeug) sind Könner.
Am schwächsten erwies sich Reinhold Beckmann dort, wo man ihn von Berufswegen am stärksten erwartet hätte, nämlich als Wort-Arbeiter. Seine Liedertexte sollen gewollt satirisch und geistreich sein, sind in Wahrheit aber nur aufgesetzt künstlich und von hoher Belanglosigkeit, kurz gesagt: vergessenswürdig. Dass man den Text manchmal akustisch überhaupt nicht versteht, ist kein Schaden, denn verloren geht dem Zuhörer nichts. „Hätt’ ich einen Wunsch noch frei, dann lass die Plauderei“, das mag der eine oder andere gut nachempfinden können, aber warum soll sich der Mann nicht auch mal selbst auf die Schippe nehmen, statt nur seine „im Schatten des Hackbeils“ aufgewachsene Jugendliebe Charlotte anzustarren, wie die sich in den Büstenhalter greift, um ihre „Apparate“ nach vorne zu ziehen und dem „mit Dackelblick in Fleischeslust“ echt dahinsiechenden jungen Beckmann eine Scheibe Schinkenwurst aus ihres Vaters Metzgerei zuzuschieben, erzählt Beckmann im Rampenlicht.
Bei solchem Sachverhalt ist der Betrachter im Saal dann doch überrascht, sind die Zwischentexte des republikweit ausgestrahlten Talkers doch generell flach und langweilig, teils sexistisch und zuweilen platter als platt. Das war nicht zu erwarten. Aber Lacher finden sich dennoch genügend, obwohl einem da und dort eher zum Losheulen ist. Bei seinem versuchten Witz über die Kanzlerin, zum Beispiel. Ein ausgewachsener Rohrkrepierer. Warum trotzdem zwei Zuhörer lachen, begreift vermutlich nicht einmal Beckmann.
Und was erfährt man so alles noch aus den geglückt sinnbereinigten Liedertexten des Reinhold Beckmann? „Fahr mit mir ans Mittelmeer, woher hast du die Kohle her?“ Da geistert, besser gesagt kalauert einem sofort jener Spontispruch aus den Sechzigern durch den Kopf: „Da stehe ich am Mittelmeer und habe keine Mittel mehr!“. Am Ufer angekommen, „Im Cabrio spielt das Radio Celentano in Stereo“ und als der Reinhold aussteigt, „du glaubst es kaum, Berlusconi liegt im Kofferraum“. Donnerwetter, gab’s den schon damals! Und Reinhold freut sich auf der Vilbeler Bühne wie ein Kind über den Applaus. „Seht ihr, das mit dem Berlusconi hat funktioniert“, ruft er den Musikern zu, „wir waren uns da vorher nicht sicher!“, erklärt er dem aufgeweckten Publikum.
Gleich zweifach – und das ist zweimal zuviel – besingt er seine Hündin Lise („Dein Mundgeruch stört mich nicht“). Der Texter täuscht anfangs vor, dass es um eine Frau geht, aber es ist die holde Hündin, der er huldigt. Rein sprachlich jedenfalls hätte der Beckmann von Maulgeruch singen müssen, aber ihn beschäftigt anderes. „Ich weiß nicht, was passiert, wenn Du mich an Deinem Halsband führst“, raunt der Zweibeiner in Philosophenattitüde seinem Vierbeiner und dem Publikum zu. Aber interessiert das jemanden? Will einer das wirklich wissen? Auch dass sich seine „Hundedame nicht für das andere Geschlecht interessiert“? Dennoch will Reinhold Beckmann mit ihr ein paar Lieder später „gerne schnüffeln gehen“.
Nicht immer wird Komplott auf Kompott gereimt, es gibt auch einige gute Ansätze, zwei, drei schöne Balladen zum Beispiel. „Wenn dein Herz beinahe friert… Komm zurück und lass uns tanzen, lass uns reden, lass uns fliegen, einfach so!“, das berührt.
Aber schon zieht am Texthimmel das nächste Gewitter auf: „Kein Getwitter im Netz, Schatz, wie geht’s dir jetzt?“ oder „Bitte schreib mir einen Brief, dann wirst du eckig und schief, schreib in deiner Montagsschrift mit deinem letzten Stift“. Nur ein feines Gitarrensolo von Andreas Dopp rettet da den Augenblick vor der Katastrophe. „Weißt du noch, du hast meinen Käfer vollgekotzt … und die Polizei hat reingeglotzt!“ oder noch prätentiöser: „Noch einmal mit dir nachts durch Bremen zieh’n … Komm scheiß doch auf Berlin.“ München statt Berlin bleibt dem Premierenpublikum erspart, „denn darauf reimt sich nur lynchen“, findet das Nordlicht Beckmann.
„Kann deine goldene Nase noch riechen, was zum Himmel stinkt“, singt er dann einen schwungvollen Bossanova. Und am Ende wird’s ein weiteres Mal tragisch, es verschlägt den Sänger nach Tadschikistan, doch Beckmann hat „einen Businessplan, geht Kekse backen in Absurdistan“. Damit gelingt dem Unternehmer Beckmann sogar das Unglaubliche, er kann den Saal dazu bringen, diesen Schrott mitzusingen. Das ist lustig! „Verrenkter Geist, verrenkte Glieder“, betitelte er seine Urpremiere und in diesem Augenblick fällt es einem wie Schuppen vor die Augen: Der Titel passt! Wo aber bleiben die verrenkten Glieder? Und schon passierts: Donnernder Schlussapplaus! Beckmann ruft ins Mikro „Bad Vilbel uuuh, yeah!“ und atmet auf. Verneigungen, Verneigungen vor dem Publikum. Auch bedankt er sich artig: „Vielen Dank für eure tolle Unterstützung und für die warmherzige Aufnahme! Bad Vilbel, yeah!“
Eine charmant strahlende Maria Ochs überreicht Beckmann und seinen tollen Musikern je eine rosa Rose, sie ist die Siegerin des Abends. Noch einmal läuft das beifallende Publikum zur Bestform auf, dann ist sie vorbei, Beckmanns Weltpremiere in Bad Vilbel. Alles in allem: Ein netter Abend, ein „Event“ eben im Medienteich!