Schöneck. Einblicke in die russische Seele, Grüße an die kaukasische Verwandtschaft und Fingerzeige auf die Eigenarten der Deutschen: Wladimir Kaminer bescherte im Bürgertreff seinen Fans einen Abend mit humorvollen Geschichten und Plaudereien.
Er sei stolz, dass der ganze Ort gekommen sei, sagt der Schriftsteller mit Blick auf den randvollen Saal. Und schon fliegen ihm die Herzen zu. Gänzlich unprätentiös in hochgekrempelten Jeans und einem dünnen Hemd steht Wladimir Kaminer am Bühnenrand. Er sei via Schöneck auf der Reise nach Singapur, wo er mit der Familie einen Urlaub verbringen wird. Mit seiner Lesung „Meine kaukasische Schwiegermutter und andere Werke“ eröffnet er die Veranstaltungsreihe „Kultur in Schöneck 2011“. Aus seinem neuen Buch, in dem Kaminers Schwiegermutter mit der kaukasischen Familie im Mittelpunkt steht, hören die Fans nur einen Part. „Strom“ heißt die Erzählung. Sie berichtet vom nordkaukasischen Dorf der Schwiegermutter, das sich „selbst elektrifiziert“, in dem die Bewohner ihren Strom durch Anzapfen der Eisenbahnstromleitung gewinnen.
Des Weiteren habe er Geschichten mitgebracht, die nicht nachzulesen seien. Zum Beispiel über sein Leben in Berlin. Diese Stadt, in der er seit 20 Jahren lebt, verkörpere „das kindische Zeitalter“. Er liebe seine Wahlheimat so sehr, dass er in der ganzen Welt Reklame für sie mache. In Melbourne etwa, wo nach dem Titel seines ersten Buchs „Russendiskos“ ausgerichtet würden, bei denen der Saal als geteiltes Berlin sogar mit Stacheldraht in Ost und West geteilt sei. „Der Ostteil ist Raucherzone.“ In Berlin besucht Sohn Sebastian eine „grüne Umweltschule“. Die religiöse Unabhängigkeit der Familie wird auf die Probe gestellt als der Sohn eine Entschuldigung für die Schule verlangt. Er möchte im Bio-Unterricht keine Würmer foltern – aus religiösen Gründen. Mit seinem liebenswerten Akzent und seiner sympathischen Ausstrahlung gewinnt der 43-Jährige die Zuhörer. Nach einer Zugabe wünscht Kaminer dem Publikum „schönes Wetter“. In Singapur ist das wohl kein Thema. (rec)