Bad Vilbel. Demnächst feiern die Bad Vilbeler „Erbsenlesungen“ ein ganz besonderes Jubiläum: Zum 100. Termin wird am Donnerstag, 4. November, um 20 Uhr Michael Quast mit seinem Programm „Stoltze für alle“ zu Gast in der Quellenstadt sein und im Kulturforum Gedichte sowie Geschichten des 1816 geborenen Frankfurter Mundartdichters Friedrich Stoltze lesen. Durch bissige Satiren machte sich Stoltze bei den Mächtigen seiner Zeit unbeliebt und wurde zeitweilig sogar steckbrieflich gesucht. Erbsensuppe wird diesmal schon ab 18.30 Uhr serviert.
Gedankenversunken kramt Doris Illian in einem Berg alter Plakatrollen, die lose im Bücherraum des Kunstvereins herumliegen. Die Motive erinnern sie an rund 100 zurückliegende Literaturlesungen. Ganz oben auf dem Schrank findet sich zufällig auch das Plakat der ersten Erbsenlesung: Robert Gernhardt trug am 22. Oktober 1997 im Kurhaus „lichte Gedichte“ vor – damals noch für 15 D-Mark Eintritt. Auf das Plakat hat er ein kleines Wildschwein gemalt. Das war vor Illians Zeit.
Illian betreut die Literaturreihe seit dem Jahr 2001, Vater der Erbsenlesungen war Volker Hartung, unterstützt vom Kunstverein und der damaligen Vorsitzenden, der Malerin Brigitte Reich. Illian ließ sich das neue Motto „anspruchsvolle Vielfalt“ einfallen. Belletristik, Sachbuch, Biografie, Klassiker – alles ist möglich, wenn die Qualität stimmt und die Autoren verfügbar sind. Fast alles – Dieter Bohlen oder Susanne Fröhlich möchte sie ihrem Publikum denn doch nicht anbieten.
Die Plakate wecken bei Doris Illian Erinnerungen an unterschiedlichste Veranstaltungen, wie an Martin Mosebach, den sie mit den Worten begrüßt habe: „Sie sehen ja aus wie Honecker – das fand der gar nicht lustig.“ Aber auch an eine illustre Veranstaltung zum Zehnjährigen des Kunstvereins mit Christiane Tewinkels Buch „Bin ich normal, wenn ich mich im Konzert langweile“ – und dazu spielte das Blasorchester Massenheim.
Die Lust aufs Lesen wecken – das versucht Illian stets aufs Neue. Aber oft birgt das auch für sie eine Überraschung. Einmal hatte sie Lars Brandt zu Gast, Willy Brandts Sohn – „aber der hat nicht lesen können“, erinnert sie sich. Sein Buch habe sie erst danach gelesen „ich bin bei den Lesungen jedes Mal auch gespannt“, gibt Illian zu.
Dabei gibt es auch positive Überraschungen. Eine Lesung über das trockene Thema lateinische Rhetorik habe der Münchner Professor Wilfried Stroh unterhaltsam und spannend präsentiert – und mit 60 Besuchern seien mehr Leute gekommen als gedacht.
Auch vom Zuspruch für Jan Seghers war Illian überrascht, dass viele junge Leute da gewesen seien.
Am liebsten möge sie aber Autoren wie zum Beispiel Kurt Tucholsky und Heinrich Heine, „die hab’ ich schon in meiner Jugend heiß und innig geliebt“, sagt die gebürtige Ostberlinerin.
„Sehr enttäuscht“ habe sie die ganz geringe Resonanz, als Friedbert Pflüger zu Gast war – immerhin der Redenschreiber Richard von Weizsäckers. Da habe sie gedacht, dass auch ein paar seiner CDU-Parteifreunde kommen würden. Und beim Besuch des früheren Bergen-Enkheimer Stadtschreibers, dem BüchnerpreisträgerReinhard Jirgl, der „Die Unvollendeten“, eine sehr persönliche Erinnerung an das Thema Vertreibung vorstellte, habe sie „gerade mal 30 Leute“ gezählt – und nicht, wie erwartet, viele Angehörige der vielen in Bad Vilbel lebenden Vertriebenen: „Das fand ich traurig.“ Dafür gab es viel Zulauf, als 2002 Hellmuth Karasek las, oder im vergangenen Herbst beim mediengewandten Kapuzinerpater Paulus. Schade findet Doris Illian die schwache Resonanz bei Lesungen für Kinder. Bedauerlicherweise werde die Lesereihe auch von Schulen nicht unterstützt: „Wir dürfen dort nicht einmal Plakate aufhängen.“
Karten inklusive Erbsensuppe kosten zwölf Euro, für Mitglieder des Kunstvereins acht Euro, Schüler und Studenten zahlen sechs Euro. Infos und Kartenreservierung in der Buchhandlung „Das Buch“, Frankfurter Straße 94, in der „Buchtruhe“, im Brunnencenter am Dortelweiler Platz, sowie bei Doris Illian, Telefon (0 61 01) 52 31 80.