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Leben von Ostern her – Das Wort zum Sonntag

Es wird gesagt: Wer einmal nach Colmar zu dem Isenheimer Altar von Mathias Grünewald gefahren ist, kommt von den beiden spätmittelalterlichen Tafelbildern des gekreuzigten und auferstandenen Christus dort nicht mehr los. In der Tat. Erst kürzlich besuchte ich das 30 Kilometer von Straßburg entfernt gelegene Museum in Colmar mit diesen weltberühmten Altarbildern, die lange Zeit in einem Antoniterkloster für Schwerstkranke zu sehen waren.

Leuchtender, von den inneren Farben des Glaubens berührt, hat wohl kaum ein zweiter Maler des Mittelalters Christus in ein Bild gebracht. So schrecklich der tote gekreuzigte Jesus dargestellt ist, so herrlich blickt uns auf der anderen Tafel der aus dem Grab auferstandene Christus an. Inmitten einer Sonne schaut man in ein unglaublich freundliches Angesicht. Was gewöhnlich nicht möglich ist, das Hineinsehen in das Zentrum der Sonne, hier ist es möglich. Ja, nur hier, im Angesicht Christi, lautet die Bildbotschaft, können wir Sterbliche Gott, das Licht der Welt, sehen. Und wir sehen noch mehr: Wir sehen die offenen Handflächen mit den leuchtenden, nun nicht mehr blutenden Wundmalen: Seht, könnte Christus uns zurufen, ich weiß um alle eure Wunden, um eure schweren Leid- und Todeserfahrungen. Genau, das ist das zutiefst Tröstliche der Osterbotschaft: In Gott kommen alle unsere Verwundungsgeschichten vor. Sie sind durch Christus ganz nah am Herzen Gottes, der wahrhaftig die Liebe ist. Leben von Ostern her heißt nunmehr für mich: Die Liebe Gottes ist mir nahe, auch und gerade in meinen Alltagserfahrungen des Leids, der Angst und der Trauer. Ja, wir haben einen mit-leidenden Gott, der uns beisteht und der alles Dunkel überwunden hat. Das Aufbrechen der Blüten- und Blätterknospen in diesen Tagen nach dem langen, strengen Winter ist da nur ein zartes Abbild des Geschehens, das uns die wunderbare Osterbotschaft von Kreuz und Auferstehung Jesu nahe bringt. Und zwar das ganze Jahr über, in allen Phasen unserer Alters- und Lebenshorizonte.

Ich wünsche uns allen die Erfahrung eines österlichen Lebens, das mit dem Blick auf das Kreuz Jesu und im Gedenken des leeren Grabes ein helles, erlösendes Ansehen aller unserer Kreuzerfahrungen ermöglicht. Und dabei braucht es nicht zu bleiben. Aus diesem trostreichen Ansehen erwächst eine Kraft, das Leben im privaten wie im öffentlichen Bereich wahrhaft menschenfreundlicher zu gestalten, Unrecht beim Namen zu nennen und Taten der Liebe und der Versöhnung folgen zu lassen. Lasst uns also wahrhaft österliche Menschen sein!

Matthias Gärtner,

Pfarrer der Ev. Kirchengemeinde Dortelweil