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Karben. Wie wollen wir Kinder begleiten? Eine »Karbener Teamarbeit« unter Leitung von Müze und Jukuz hat mit einem Filmnachmittag einen Anstoß gegeben, diese Frage neu zu denken. Mit Impulsen für die Eltern und die Gesellschaft.
Popcornduft liegt in der Luft. Die Scheune des Jugendkulturzentrums (Jukuz) verwandelt sich in einen Kinosaal. Die 100 Gäste – fast nur Mütter, eine Handvoll Väter ist dabei – verfolgen die Denkanstöße.
Das Mütter- und Familienzentrum (Müze) zeigt »Liebe, Wut und Milchzähne«, eine Doku von Domenik Schuster. Drei Kernaussagen: Essenziell ist, Kinder liebevoll und zugewandt zu begleiten – auch in Wut- und Trotzphasen. Emotionale Gewalt wie Anschreien, Schimpfen, Ignorieren und Co. hat Konsequenzen, wie beispielsweise sexualisierte Gewalt. Trotz dieses Wissens ist es im Elternalltag schwer, immer den eigenen Idealen zu entsprechen.
In 70 Minuten bringen Pädagoginnen, Erziehungsberater, Psychologen und Fachärzte diese Aussagen kurzweilig und eindrücklich rüber. Wenn der Dreifach-Papa Schuster im Film seinem Jüngsten mit der Zahnbürste hinterherrennt und mit sämtlichen Tricks gegen das niedliche »Nein!« scheitert, lachen alle – ein Beweis, dass solche Szenen jede kennt. »Ihr seid nicht allein«, ist damit auch eine wichtige Botschaft von Nora Imlau.
Der Film handelt vom Dilemma heutiger Eltern, Kinder liebevoll begleiten zu wollen, gerade in stressigen Situationen jedoch in alte Muster wie ein knurrendes Drohen zu kippen. Psychologin Nina Grimm liefert eine Erklärung: Vier bis fünf Generationen lang wirke die eigene Erziehung nach.
Erziehung wirkt
über Generationen
Feinfühligkeit sinke mit steigendem Stress, von dem es zwischen Familie und Beruf mehr als genug gibt. Erschwerend komme hinzu, dass gesellschaftlich noch nicht verstanden worden sei, dass ein Kind ein vollwertiger Mensch sei, kritisiert Dr. Anke Elisabeth Ballmann. Beispielsweise würden mitunter Strafen verhängt, die arbeitsrechtlich gegenüber anderen Erwachsenen nicht zu rechtfertigen seien. Sich hiermit auseinanderzusetzen und beispielsweise das eigene Großwerden oder die Sicht der Gesellschaft auf Kinder zu beleuchten, sei unbequem. Ein Beispiel: Ein »Das ist doch kein Grund zu weinen!« oder »Nichts passiert, stell dich nicht so an!« nimmt das Kind schlichtweg nicht ernst.
Um das Gesehene einzuordnen und individuelle Alltagsprobleme zu besprechen, hat das Müze-Team zur Talk-Runde geladen: Barbara Ranz, die das »Offene Ohr« des Müze betreut, Müze-Vorsitzende Gabriele Ratazzi-Stoll und Kinderarzt Dr. Vitor Gatinho beantworten Fragen. Gatinho ist dabei der »Stargast«: Der Podcaster und Bestseller-Autor hat mehr als 750 000 Follower in den sozialen Medien. Später stehen die Karbenerinnen Schlange für ein Autogramm und ein Foto mit ihm. »Eltern zu sein lernen wir erst«, appelliert er für mehr Nachsicht mit sich. »Unsere Kinder lernen von uns Eltern, aber genauso lernen wir Eltern jeden Tag von unseren Kindern.«
Kooperationen,
die Karben stärken
Dass die Stadtbücherei Karben für diesen Lernprozess Input zur Verfügung stellt, zeigt Leiterin Antonia Berberich mit einem Büchertisch mit allerhand Ratgebern. So ist der Nachmittag echte »Karbener Teamarbeit«. »Wir freuen uns, dabei zu sein«, sagt Thomas Frühauf vom Jukuz, das nicht regulär von Vereinen zu mieten ist. Zu einem Kinonachmittag gehört neben Popcorntüten-Geraschel auch ein »Werbeblock«: Michaela Eichwede und Nina Schücker stellen das Müze-Programm vor und erinnern daran, dass das Müze ein Verein ist und eine Mitgliedschaft hilft, Aktionen wie den Filmnachmittag möglich zu machen.
Stefanie Schumann, Leiterin der Karbener dm-Filiale, hat das erkannt: Sie übergibt einen monatlichen Einkaufsgutschein in Höhe von 100 Euro an Christine Dressler, die das Müze-Café leitet. Sie freue sich, ihre Filiale mit der Müze-Kooperation »verheimaten« zu können, sagt Schumann. Und für den Müze-Treff, der zuletzt oft nur knapp schwarze oder gar rote Zahlen geschrieben hat, sei das eine wichtige Hilfe, um geöffnet bleiben zu können. Solche Kooperationen helfen nicht zuletzt, auch außergewöhnliche Müze-Aktionen zu planen. So werde es in diesem Jahr eine Wiederholung der Mama-Tanz-Party geben, verrät Michaela Eichwede – mit Beifall aus dem »Kinosaal«.
Von Jana Kötter