Karben. Zum 300-jährigen Jubiläum der drei Glocken im Turm der evangelischen Kirche zu Petterweil am dritten Adventssonntag gab es einen Gottesdienst. Außerdem sollen die ehrwürdigen Glocken weltweit erklingen. Damit dies technisch gelingt, ist Leon Schutt gefragt, dem es die Glocken der Wetterauer Kirchen besonders angetan haben. Um zu den Glocken zu gelangen, sind jedoch Kletterkünste vonnöten.
Flotten Schrittes geht Horst Preißer voran: die Treppe hinauf, über die Empore der Petterweiler Martinskirche, auf den Dachboden und hinein in den Kirchturm. Dabei ist der Weg alles andere als ungefährlich. Hier und da ist eine Stolperfalle auf dem Boden, ein Spalt in den Bohlen, ein dicker Holzbalken in Kopfnähe und dann schließlich ein schmales Leiterchen, das die letzten Höhenmeter überbrückt. Die Sprossen sind dünn, die Luke, die sich unter der größten der drei Glocken befindet, ist eng. Sie mit Rucksack auf dem Rücken oder Tasche über der Schulter zu passieren, ist unmöglich. Aufhalten aber lässt sich das Trio auf seinem Weg nach oben in den Turm von diesen Hindernissen trotzdem nicht. Denn das Ziel von Küster Horst Preißer, dem 18-jährigen Leon Schutt aus Röthges (Laubach) und mir, der Journalistin, sind die Glocken.
300 Jahre sind die mächtigen Petterweiler Schmuckstücke in diesem Jahr alt geworden. Geweiht wurden sie am 3. Advent des Jahres 1724. Unterhalb des Glockenhalses steht die Inschrift: »Anno 1724 gos mich Johannes und Andreas Schneidewind in Franckfurt vor die Gemeinde Petterweil.«
Das besondere Jubiläum war Anlass genug, die drei historischen Glocken, die laut Unterlagen in fis, ais und cis klingen, in den Mittelpunkt zu rücken. Und zwar nicht nur in einem Gottesdienst, der am Sonntag, 15. Dezember, um 17 Uhr mit Pfarrer Eckart Dautenheimer in der Kirche gefeiert wurde, sondern auch im Internet.
Vor dem
Einschmelzen bewahrt
Fachmann für dieses Vorhaben ist Leon Schutt, dem es die Glocken der Wetterauer Kirchen ganz besonders angetan haben. »Mich interessieren Kirchen und Glocken einfach. Und vor allen Dingen finde ich es faszinierend, zu hören und zu sehen, wie sie aussehen, wenn sie läuten«, sagt der 18-Jährige, der derzeit eine Ausbildung zum Zugverkehrssteuerer bei der Deutschen Bahn macht.
Schon einige Kirchtürme hat er bestiegen, um den Klang der Kirchenglocken ins weltweite Netz zu stellen – zu hören sind auf seinem Instagram-Profil zum Beispiel die Glocken der Basilika in Ilbenstadt, die der Herz-Jesu-Kirche in Massenheim, die Glocken der evangelischen Kirche in Friedberg-Dorheim, der Kirche in Beienheim, in Wölfersheim und der Friedberger Burgkirche. »Ganz besonders war für mich die Aufnahme in der Friedberger Stadtkirche. Acht Glocken, davon sieben historisch. Das ist selten«, sagt Leon.
Auch an der Petterweiler Kirche fasziniert ihn, dass alle drei Glocken historisch sind. Hier hat das Glück eine wichtige Rolle gespielt: Die beiden großen Glocken hatte der Ort im Zweiten Weltkrieg abgeben müssen. Die Einschmelzung zu kriegswichtigem Rohstoff war befohlen worden. Nach Kriegsende aber fand man die Glocken auf einem Lagerplatz in Hamburg wieder, 1947 waren sie zurück im Heimatort.
Und so scheut »Glockenfreund« Leon auch den beschwerlichen Aufstieg nicht. Einzeln werden die Scheinwerfer, der Gehörschutz und die empfindlichen Aufnahmegeräte nach oben gebracht und positioniert. Für mehr Equipment ist im Turm kein Platz. Das Mikrofon wird eingestellt und mit einem Windschutz versehen. »Die Geräte sind sehr empfindlich und zeichnen alles auf. Regentropfen zum Beispiel. Aber auch den Wind, den die Glocken beim Schwingen machen.«
Auf ein Zeichen von Horst Preißer hin legt Leon den Hebel für die kleinste Glocke um und setzt sie in Gang. Ein paar Minuten darf sie schwingen, dann folgt die mittlere, zuletzt die große 800 Kilogramm schwere Glocke. Schließlich läuten alle drei im Plenum. Im Kirchturm ist es trotz Gehörschutz mächtig laut und man meint, dass der Turm mit dem Glocken-Trio mitschwingt. Schließlich ist alles fertig: Tonaufnahme, Video, Fotos. Das Zusammenpacken und der Abstieg beginnen.
»Mein Ziel ist es, mit den Aufnahmen auch Leuten, die nicht mehr hinaufsteigen können, zu ermöglichen, die Glocken ihres Heimatorts zu sehen«, sagt Leon. Die Gelegenheit dazu haben die Petterweiler und alle anderen Glockenbegeisterten ab sofort bei Instagram (schutt529) sowie bei Youtube (Kirchenglocken Hessen).
Von Janine Stavenow