Karben. Das Berufsbildungswerk (bbw) Südhessen eröffnet jungen Menschen mit Förderbedarf seit 40 Jahren eine berufliche Perspektive. Aus dem Reha-Anbieter der Achtzigerjahre ist ein flexibler Dienstleister geworden, der den Spagat zwischen Anforderungen des Arbeitsmarktes und dem Potenzial seiner Auszubildenden wagt.
Wer aufmerksam das Ausbildungsangebot des bbw Südhessen studiert, sieht die Veränderungen. »Der Arbeitsmarkt sucht dringend Fachkräfte, und wir reagieren sehr flexibel darauf«, sagt bbw-Geschäftsführer Torsten Denker. Als Beispiel nennt er den neuen Ausbildungsgang des Fahrradmonteurs. Weil die Nachfrage danach so groß ist, wurde extra ein Gebäude im Gewerbegebiet angemietet, in dem die praktische Ausbildung stattfindet. Auch im Garten- und Landschaftsbau ist der Bedarf an Fachkräften gestiegen. Und so gibt es vier »grüne« Ausbildungsberufe. Stark nachgefragt sind alle IT-Ausbildungsberufe, die für die neue Zielgruppe von Teilnehmenden aus dem Autismus-Spektrum und bei psychischen Erkrankungen interessant sind. Weggefallen ist dagegen die Mode- und Änderungsschneiderei, denn hier besteht kein Bedarf mehr aufgrund der billigen Textilimporte. Wo einst die Pfaff-Nähmaschinen ratterten, ist jetzt die IT untergebracht.
Doch nicht nur die Ausbildungsberufe im bbw haben sich geändert, sondern auch die pädagogischen Inhalte. Eine, die das von Anfang an mitgestaltet hat, ist Ulla Duchardt, Bereichsleiterin »Grüne Berufe« und »Holz«. Sie arbeitet seit 30 Jahren im bbw und möchte den täglichen Umgang mit den jungen Menschen nicht missen.
Werkstoff Holz
oder lieber gärtnern?
»Zu sehen, wie sie sich entwickeln und ihren Weg gehen, das ist ein guter Grund, jeden Morgen früh aufzustehen und hierher zu kommen«, sagt sie lächelnd und ergänzt: »Wir haben heute eine ganz andere Kultur des Umgangs mit den jungen Menschen«. In den Anfangsjahren habe der »Fürsorgegedanke« im Vordergrund gestanden, jetzt liege der Schwerpunkt auf Selbstbestimmung und Teilhabe. Dazu gebe es im bbw viele Angebote. So können junge Menschen mit einer Lernbehinderung vor der Entscheidung für eine Ausbildung eine Eignungsabklärung machen, den Jobwunsch in den Werkstätten testen oder eine elfmonatige berufsvorbereitende Maßnahme im bbw durchlaufen. »Wir sehen uns nicht nur als fachliche Ausbilder, sondern als Begleiter der Jugendlichen«, sagt Duchardt.
Herausfinden, welcher Beruf der geeignete ist, das machten die Mitarbeiter im bbw gemeinsam mit den Teilnehmenden, und das sei immer wieder spannend. Manche lieben den Werkstoff Holz und die handwerkliche Arbeit, andere sind gerne im Freien und gärtnern. Auch die theoretischen Lernanforderungen können unterschiedlich sein. Der Fokus bei der Berufsauswahl liegt immer auf der Frage »Was kann ich« und nicht auf »Was kann ich nicht«. Wo Bedarf ist, kann das bbw Hilfestellung leisten und individuell beraten, denn Fachleute aus Pädagogik, Psychologie und Medizin sind in multiprofessionellen Teams integriert. Begehrt ist auch die Möglichkeit, im bbw-Wohndorf (14 Häuser mit betreuten Wohngruppen) oder in Wohngruppen auswärts zu wohnen. Die jungen Leute lernen eine Tagesstruktur entwickeln, sie kochen und kaufen ein. Sie nutzen die Freizeitmöglichkeiten des bbw und probieren neue Lernformen aus. »Das macht uns im bbw aus, das ganzheitliche Angebot, nicht nur einen Beruf finden, sondern auch sich selber finden und das Leben gestalten«, sagt Duchardt. Viele Ehemalige würden vorbeikommen und genau das sagen, sie hätten hier eine Chance bekommen und sie ergriffen.
Neu: bbw-App und
eine Lernplattforn
»Wir müssen uns im bbw mit Zukunftsthemen befassen und sie aktiv mitgestalten«, sagt Geschäftsführer Denker. Als Beispiel dafür, wie das bbw auf die Digitalisierung der Arbeitswelt reagiert, nennt er die Entwicklung einer bbw-App und Lernplattform namens »Dock B«. »Sie erleichtert die interne Kommunikation und Organisation«, sagt er. Integriert in die App sei eine Kalenderfunktion, der individuelle Ausbildungsplan und digitale Lerninhalte. »95 Prozent unserer Auszubildenden haben ein Smartphone«, sagt Bereichsleiterin Duchardt. Tablets stünden in den Bereichen zur Verfügung. Mit der App werde das Handy zum digitalen Lexikon in der Hosentasche. So würden etwa in der Lehrgärtnerei nach und nach alle Pflanzen mit QR-Codes versehen. Damit können die botanischen Namen und Anzucht-Details abgerufen werden. Das erleichtert das individuelle Lernen und Wiederholen von Ausbildungsinhalten.
Von Anne-Rose Dostalek