Bürgermeister Thomas Stöhr (CDU) blickt auf bewegte 22 Jahre in Bad Vilbel zurück. Im Interview spricht der scheidende Rathauschef über die Entwicklung seiner Heimatstadt, besondere Projekte und die finanzielle Situation Bad Vilbels.
Herr Dr. Stöhr, am 16. Juni steht Ihr letzter Tag als Bürgermeister an. Können Sie sich noch an Ihren ersten Tag erinnern?
Ja, wobei ich sagen muss, dass es eigentlich zwei Tage sind, die ich in Erinnerung behalten habe. Das eine ist natürlich der 1. Januar 2000 als ich als Nachfolger von Klaus Minkel die Stelle als Erster Stadtrat angetreten habe. Das war für mich der Beginn meines politischen Wirkens in Bad Vilbel und auch eine große Ehre, für meine Geburtsstadt tätig zu werden. Dann der 17. Juni 2004, als ich Bürgermeister wurde.
Da sah Bad Vilbel noch ganz anders aus als heute, oder?
Es hat sich sehr viel entwickelt. Auf meinem ersten Flyer 2003 stand unter anderem der Punkt »Wachsende Attraktivität der Innenstadt«. Das ist damals wie heute wichtig. Aber auch die Ortsteile galt und gilt es zu entwickeln.
Gibt es Projekte, an die Sie sofort denken müssen?
Die Neue Mitte samt Bibliotheksbrücke natürlich. Aber schon damals stand die Kurhaussanierung auf dem Plan. Auf dem Flyer steht sogar ein »neues Hallenbad«. Stadtentwicklung allgemein hat mir immer sehr viel bedeutet.
Sie waren immer jemand, der sehr eng mit den Vereinen zusammengearbeitet hat. Welche Rolle haben die in den vergangenen Jahren gespielt?
Ich hatte immer ein großes Herz für den Sport und die Vereine, die mit ihrer großen sozialen Kompetenz wichtige Grundlagen schaffen. Wir haben in allen Stadtteilen Kunstrasenplätze angelegt und Drei-Feld-Hallen auf dem Heilsberg, in Dortelweil und der Innenstadt gebaut. Zudem war mir stets ein großes Anliegen, die Vereine bei Investitionen in ihre Infrastruktur zu unterstützen. Aber auch das Amt des Kulturdezernenten hat mir viel Spaß gemacht.
An was denken Sie in diesem Bereich zurück?
An den Ausbau der Kunst- und Musikschule, aber auch unweigerlich an die Burgfestspiele. Als ich das damals 2004 übernommen habe, da hatte ich schon Respekt.
Wie meinen Sie das?
Wir hatten Rekorde mit knapp 60 000 Gästen pro Jahr. Steigerungen waren kaum vorstellbar. Jetzt sind wir bei 110 000. Wir haben Millionen in die Burgsanierung gesteckt. Gemeinsam mit Herrn Kunzmann und dem ganzen Team haben wir viel fürs Ambiente der Festspiele getan. Darauf können wir stolz sein.
Wir sitzen gerade im Rathaus in Dortelweil. Das hätten Sie vermutlich damals auch nicht gedacht?
Das stimmt. Das konnten wir 2003 noch nicht ahnen. Die Verwaltung war ja auf mehrere Dienststellen verteilt. Wir haben uns schon gefragt, wie wir das zu einer schlagkräftigen Einheit zusammenführen können. Das ist uns gelungen, und das ist ein großer Erfolg.
Gibt es ein Projekt, das sie besonders hervorheben würden?
Mir hat es generell immer viel bedeutet, ständig an neuen Projekten und Ideen zu arbeiten. Sei es für Vereine, für Bildung oder einfach für die Zukunft in unserer Stadt.
Was meinen Sie mit Bildung?
Dass wir die Grundschule nach Gronau zurückgeholt haben. Wir haben eine Europäische Schule herbekommen und auch die Technischen Hochschule Mittelhessen.
Hätten Sie sich das bei Amtsantritt vorstellen können?
Nein. Das geht alles nicht ohne viel Unterstützung, die ich sowohl von meinen Vorgängern Herrn Biwer und auch Herrn Minkel aber auch im Magistrat und in der Verwaltung immer gespürt habe.
Wie meinen Sie das?
Zahlen und Fakten sind meine Leidenschaft (lacht). Als Jurist und Finanzwirt war ich über 22 Jahre lang mit großer Leidenschaft Kämmerer. Mir war immer wichtig, dass Bad Vilbel solide Finanzen hat. Wir hatten nun zum 1. Januar nach Abzug der nicht sofort tilgbaren Förderkredite liquide Mittel von rund 17 Millionen Euro. Wir sind damit faktisch schuldenfrei. Auch unser Eigenkapital ist von 2009 mit 118 Millionen auf mittlerweile rund 320 Millionen gewachsen.
Das ist eine beachtliche Summe. Darauf sind Sie mit Sicherheit mächtig stolz, oder?
Ich bin froh, dass ich meinem Nachfolger sehr solide Finanzen hinterlassen kann. Das ist auch für die Bürgerinnen und Bürger im Hinblick auf Steuern und Abgaben wichtig. Insoweit spielt auch der Hessentag eine Rolle.
Inwiefern?
Wir haben viele Fördermittel erhalten, an die wir sonst nicht so einfach gekommen wären. Auch das waren rund sieben Millionen Euro. Und ich habe ausgehandelt, dass wir 2025 den Hessentag zu denselben Konditionen bekommen.
Herr Stöhr, kaum eine Stadt in Hessen ist in den vergangenen Jahren so stark gewachsen wie Bad Vilbel. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Das ist richtig, es gab ein großes Wachstum bei den Arbeitsplätzen wie auch an Baugebieten. Natürlich waren das große Herausforderungen. Wichtig war zunächst Anfang, dass wir die Nordumgehung schnell fertigstellen. Die befahren wir heute alle wie selbstverständlich. Im Quellenpark wohnen heute viele Menschen, im Massenheimer Gewerbegebiet ist alles verkauft. Das waren auch wichtige Einnahmen.
Mehr Einwohner bedeutet aber auch, dass die Betreuungsangebote mitwachsen müssen. Ist das gelungen?
Ja. Wir haben beispielsweise bereits 2003 als Ziel gehabt, in Gronau einen Kindergarten zu bauen und ein Grundschulangebot auf die Beine zu stellen. Das war ein Coup, dass wir das gemeinsam hinbekommen haben. Als unser Sohn geboren wurde, gab es nur eine ganz begrenzte Anzahl von U3-Plätzen. Damals hatte ich mit meiner Frau besprochen, wir nehmen da keinem den Platz weg und organisieren das privat (lacht). Die neuen Kindergärten in der Stadt sind gigantische und sehr wichtige Investitionen gewesen. Gleichwohl ist es stets eine neue Herausforderung, speziell bei der Personalgewinnung.
In Bad Vilbel stehen zahlreiche Großprojekte auf der Tagesordnung. Schade, dass Therme und Hessentag in ihrer Amtszeit nicht mehr fertig wurden oder?
Ja, das stimmt leider. Den Hessentag und auch die Stadthalle hätte ich gerne noch eröffnet. Ich glaube, die Kombination mit Hotel und Kurhaussanierung ist eine sehr gute Lösung.
In Ihren 22 Jahren gab es mit Sicherheit nicht nur positive Aspekte. Wegen Erdablagerungen am Alten See in Gronau hat die Staatsanwaltschaft gegen Sie ermittelt…
Ja, es gab auch harte Zeiten. Zu dieser Geschichte kam ich dazu, wie die Jungfrau zum Kinde. Das Projekt war lange vor meiner Zeit gestartet worden. Es ist versäumt worden, über verschiedene Stellen entsprechende Baugenehmigungen nachzureichen. Ich habe damals sehr genau alle Verträge geprüft, die ich unterschrieben habe; beispielhaft, dass dort nur 1a-Erde hingefahren wird und alles unter Aufsicht eines örtlichen Bauleiters erfolgt. Das Problem war: Ich habe mir nicht den Betrag des alten Bauantrages gemerkt, der dann deutlich überschritten wurde. Heute ist unbestritten, dass dann eins der schönsten Naturschutzgebiete der Gegend entstanden ist.
Es gab auch umkämpfte Baugebiete. Die Bad Vilbeler waren nicht immer einverstanden mit Ihren Plänen…
Ja. Da muss ich zum Beispiel an den Taunusblick denken. Da gab es einen Riesenproteststurm mit dem Slogan »Rettet die Amiwiese«. Mittlerweile spricht dort niemand mehr darüber.
Auch die Bibliotheksbrücke war heiß diskutiert. Der Bürgerentscheid war knapp…
Ich erinnere mich. Bürgerversammlung, Podiumsdiskussion, Bürgerentscheid. Ich habe mich nie davor gedrückt. Wenn man für ein Projekt ist, dann sollte man auch dafür einstehen.
Sie haben die finanzielle Situation der Stadt sehr gelobt. Waren die Zeiten immer gut?
Nein. Wir mussten im Quellenpark viel vorfinanzieren. Außerdem gab es generell schlechte wirtschaftliche Zeiten in Deutschland. Da muss ich sofort an die Straßenausbaubeiträge denken.
Inwiefern?
Ich habe bei der Einführung schon gesagt, dass ich kein Freund davon bin. Ich habe sie gleich zweimal abgeschafft als Bürgermeister (lacht).
Sie haben sich auch überregional für Bad Vilbel eingesetzt…
In einem Bereich, in den ich mich nie gedrängt habe, aber immer wieder gefragt wurde. Ich war der erste Vilbeler Bürgermeister der Präsident des Hessischen Städte- und Gemeindebunds sein durfte. Sie haben immer betont, wie gerne Sie den Kontakt mit den Bürgern suchten. In den vergangenen zwei Jahren hat die Pandemie dann allerdings dafür gesorgt, dass viele Veranstaltungen ausgefallen sind. Macht Sie das sehr traurig?
Definitiv. Ich hätte gerne den 200. Bad Vilbeler Markt eröffnet. Ich habe die Zusammenkunft mit Vereinen und den Menschen immer sehr geschätzt.
Haben Sie die Entscheidung, nicht mehr zu kandidieren, mal bereut?
Nein, auch wenn es ein schwieriger Abwägungsprozess war. Man sollte zu seiner Entscheidung stehen. Es ist eine gute Entscheidung, an dieser Stelle zu sagen, ich höre auf. Es ist besser dann zu gehen, wenn es noch einige bedauern, als wenn es keiner mehr tut (lacht).
Bleiben Sie Bad Vilbel erhalten?
Selbstverständlich. Ich werde weiterhin in Bad Vilbel wohnen und am Leben teilnehmen.
Haben Sie Pläne für die Zeit nach dem 15. Juni?
Noch nicht viel Konkretes. Im Moment ist mein Kalender noch sehr voll. Das wird mit Sicherheit ungewohnt, nicht mehr ins Rathaus zu fahren. Aber da wird sich sicherlich etwas ergeben.
Die Übergabe mit ihrem
Nachfolger Sebastian Wysocki läuft doch vermutlich fließend oder?
Das wird unproblematisch. Wir haben in den vergangenen sechs Jahren gut und erfolgreich zusammengearbeitet. Ich habe meinem Nachfolger angeboten, dass ich ihm immer mit Rat und Tat zur Verfügung stehen werde, aber Gott bewahre mich davor, nicht loslassen zu können (lacht).
Wollen Sie zum Abschluss des Interviews noch etwas sagen?
Es macht mich unglaublich stolz, so viele Jahre in meiner Geburts- und Heimatstadt viel vorangebracht zu haben. Es war mir wirklich eine große Ehre.
Von Patrick Eickhoff