Karben. „Ist es Gewalt, wenn ein Obdachloser erfriert?“ Die Frage stellt Chadia Wilhelm den 15 Teilnehmern des Workshops „Gewalt – Sehen – Helfen“ in Karben. Im „Gewaltbarometer“ sind die Teilnehmer aufgefordert, sich damit auseinanderzusetzen, wo für sie Gewalt beginnt. Eine aufgeklebte Linie auf dem Boden trennt Zustimmung und Ablehnung zur Frage.
In Gesprächen mit Obdachlosen habe er die Erfahrung gemacht, dass diese oftmals kein Interesse daran hätten, staatliche Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen, berichtet ein Teilnehmer aus Okarben. Demnach liege für ihn keine gesellschaftliche Gewalt vor, sagt er und positioniert sich entsprechend auf einer Seite der Linie.
Der Arbeitskreis „Gewalt – Sehen – Helfen“ im Gesprächskreis Prävention der Stadt hat zum zweiten Workshop ins Bürgerzentrum eingeladen. Das Trainerteam aus Dorothea Fingerling, Anette Kehrbaum, Detlef Lucht und Chadia Wilhelm gibt den Teilnehmern Tipps, wie sie sich verhalten können, wenn sie Konfliktsituationen im öffentlichen Raum selbst erleben oder beobachten. An oberster Stelle stehen dabei die Vorgaben, gewaltfrei und deeskalierend zu handeln sowie sich selbst zu schützen.
Den Teilnehmern wird nicht nur theoretisches Wissen vermittelt: Die Rollenspiele hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Ermöglichen doch die Szenen ein Einfühlen in jene Situationen, wie sie alltäglich auf der Straße, in der S-Bahn oder auf öffentlichen Plätzen bei der Begegnung mit fremden Menschen passieren können. Im ersten Rollenspiel stellt Trainer Detlef Lucht als „Herr Schmidt“ einen erwachsenen, schlecht gelaunten, stänkernden Kirmes-Besucher dar.
Trainerin Anette Kehrbaum verkörpert in der Rolle des „Michaels,“ eines verliebten Jugendlichen, der mit seinem Handy über die Kerb schlendert und ins SMS-Schreiben vertieft ist. Die beiden rempeln sich an, darauf hin folgt eine aggressive Auseinandersetzung, die zwar nicht in einer Prügelei endet, doch gehen die Kontrahenten unversöhnlich auseinander.
In der anschließenden Diskussion wird deutlich, dass das Gebrüll der Streithähne sowie ihre aggressive Körpersprache selbst von den „nur“ zuschauenden Teilnehmern als unangenehm empfunden wird und sie negativ beeindruckt. Schnell wird deutlich: Der, der schreit, dominiert durch sein Verhalten die Szene und den Platz. Mag der andere noch so „vernünftig“ argumentieren, seine ruhig vorgetragenen Argumente gehen im Geschrei des Gegenübers unter.
Auch in weiteren Versionen des Rollenspiels, in denen Teilnehmer in die Rolle des „Michaels“ schlüpfen, lässt sich der Streit suchende „Herr Schmidt“ nicht von seinem Vorhaben abbringen. „Angeschrien zu werden ist unangenehm“, erklärt Heidi Burzig, die eben die Michael-Rolle übernommen hatte. Da es nach dem Konzept von „Gewalt – Sehen – Helfen“ in einer solchen Situation darum gehen sollte, eine weitere Eskalation des sich anbahnenden Konflikts zu vermeiden, lautet die beste Lösung: Den Rumpöbelnden schlichtweg zu ignorieren und weiterzugehen. Diskussionen mit Menschen, die Ärger wollten, seien meist sinnlos, erklärt Dorotha Fingerling.
Zudem bekommen die Teilnehmer die Empfehlungen, sich nicht provozieren zu lassen, das Gegenüber nicht anzufassen und immer beim „Sie“ zu bleiben. Mit erhobenem Haupt aber passiv den Rückzug anzutreten, sei die beste Lösung unter der Prämisse des Selbstschutzes, der Deeskalation und Gewaltfreiheit.
Nach der Pause erfahren die Teilnehmer noch, welche Handlungsoptionen sie haben, wenn sie Zeuge eines sich anbahnenden Konfliktes werden und helfend eingreifen möchten. Dabei gelte es vor allem, dem Opfer zu helfen, etwa durch Herstellen von Öffentlichkeit, also laut zu rufen und Passanten um Hilfe zu bitten.