Karben. »As time goes by« – wie die Zeit vergeht. Der Songtitel aus dem Film »Casablanca« hätte gar nicht besser zu Werner Gieslers Abschiedsgottesdienst gewählt werden können. Nach fast 36 Jahren in Klein-Karben ist der dienstälteste Karbener Pfarrer am Sonntag entpflichtet worden.
Improvisieren musste Werner Giesler in den zurückliegenden Jahrzehnten manchmal – auch bei seinem allerletzten Gottesdienst war dieses Talent gefragt. Natürlich hätte er sich am liebsten auf der Theaterbühne im Pfarrgarten von St. Michaelis von seiner Gemeinde verabschiedet. Doch das Wetter hatte es am Sonntagnachmittag anders vorgesehen. Wegen eines Unwetters über Karben musste seine Verabschiedung, oder korrekter: seine Entpflichtung vom Pfarrdienst, kurzfristig ins Bürgerzentrum verlegt werden.
Die Veranstaltung entwickelte sich dennoch zu einer lebendigen Reminiszenz an Pfarrer Gieslers Amtszeit: Es wurde seine Wunschmusik gespielt, die Klein-Karbener Jugendtheatergruppe führte im Quartett einen schwungvollen Sketch auf und ein Chor der Kirchengemeinde sang dem Pfarrer ein pointiertes Dankeschön. Pfarrer Michael Neugber aus Petterweil zeichnete Gieslers Werdegang wie einen Pilgerweg nach. Worte dazu wurden von den Gästen im Kanon intoniert. Auch die Kollegin und Kollegen von der Gesamtkirchengemeinde Karben, Nadia Burgdorf, Christian Krüger und Eckart Dautenheimer, überraschten Werner Giesler mit einem Beitrag über die Problematik, ein passendes Geschenk für ihn zu finden. Das alles wurde von den Gottesdienstbesuchern ein ums andere Mal mit Beifall bedacht. Die jungen Schauspieler waren mit ihrer Darstellung einer Theaterprobe aber ganz weit vorne dabei. Erzählten sie doch, wie es so unter dem Regisseur Giesler zuging. Und das war wie ein Blick hinter die Kulissen.
In seiner letzten Predigt als Pfarrer im Dienst schilderte er die vergangenen Jahrzehnte aus persönlicher Sicht. »Was für ein Glück, dass ich diesen Beruf gewählt habe. Und was für ein Glück, dass ich nach Karben gekommen bin, um mit den Menschen hier zu leben und für sie da zu sein«, rief er der Gemeinde zu. Nächtelange Gespräche mit seinen Eltern hätten ihm einst den Weg gezeigt und seinen Blick für die Vielfalt des Lebens geschärft. Verschiedene Kollegen seien sein Antrieb gewesen. »Die Arbeit mit den Jugendlichen ließ nie meine eigenen Hoffnungen versiegen. Bei meiner Familie konnte ich Ruhe und Kraft tanken. Eigentlich ist es meiner Frau zu verdanken, dass ich nach Klein-Karben gegangen bin«, offenbarte Giesler. »Ich habe die Herrlichkeit Gottes in den Begegnungen mit meinen Mitmenschen gesehen. Das hat Glück und einen hellen Schein in mein Herz gegeben.«
Trauer und Freude
Giesler berichtete von unzähligen Gesprächen bei den Menschen zu Hause, wenn es um Themen wie Einsamkeit, Krankheit, Tod, Taufe, Eheschließung ging. Da habe er oft Leute in den Arm genommen, um sie zu trösten oder um sich mit ihnen zu freuen.
Anschließend nahm der Propst von Oberhessen, Matthias Schmidt, die Entpflichtung vor. Mit diesem feierlichen Akt wurde der Pfarrer von seinen Pflichten entbunden und in den Ruhestand versetzt. Schmidt sagte, er sehe in Gieslers Wirken eine wichtige Haltung für die Kirche der Zukunft. Giesler solle die Gesellschaft weiter mitgestalten, nicht mehr als Pfarrer, sondern als Mitbürger. »Für die Pfarrstelle in Klein-Karben besteht gute Hoffnung, dass sie bald neu besetzt werden kann«, deutete Schmidt an.
Von Jürgen Schenk