Karben. Zur Eindämmung des Corona-Virus’ sollen persönliche Kontakte vermieden werden. Gegen die dadurch drohende Einsamkeit schaffen der ASB Mittelhessen und der Arbeitskreis Altenhilfe der Stadt Karben ein neues Angebot – den »Telefonplausch«. Konzipiert für kurze, aber wertvolle Momente der Ablenkung.
»Wollen wir uns duzen? Oder ist Ihnen das »Sie« lieber?« Vorsichtig tasten sich die beiden aneinander heran. Erst zögerlich, dann immer neugieriger stellen sie sich vor: Name, Wohnort, Jahrgang. »Fünf Kinder haben Sie? Respekt!« Renate Fechner lächelt, hört aufmerksam zu, als sich ihre Gesprächspartnerin vorstellt, erzählt sprudelnd aus ihrem eigenen Leben. Von der Schauspielerin Renate Müller, die ihrer Mutter bei ihrer Geburt 1929 Vorbild bei der Namensgebung war, vom viel zu frühen Tod ihres Mannes, von den eigenen Kindern. Während sie den Telefonhörer in der Hand hält, blüht die 90-Jährige auf.
In der Tat dauern die Momente des Zurückhaltens an diesem Nachmittag nicht lang – und das, obwohl Renate Fechner und ihre Gesprächspartnerin Stella Großer-Arz sich doch nicht bekannt sind. Fechner ist die erste Anruferin beim neuen »Telefonplausch«, den der ASB Mittelhessen und der AK Altenhilfe anbieten.
Die Idee ist einfach: »Ein gutes Gespräch von Mensch zu Mensch – und sei es durch das Telefon – hilft uns durch die ungewisse Zeit und bringt uns auf andere Gedanken«, heißt es. Gerade in Zeiten von Corona, wo unsere sozialen Kontakte eingeschränkt seien, fühlten sich viele einsam, weiß Andrea Jädike von der Fachberatung Leben im Alter des ASB Mittelhessen, die das Angebot begleitet. »Für uns war es ganz selbstverständlich, neue Wege zu gehen in dieser Zeit, in der wir uns persönlich eben nicht begegnen können.«
Wer ist in der Leitung?
Die Initiative ist eingebettet in das vielfältige Engagement von »Karben hält zusammen« und damit auch auf der entsprechenden Webseite zu finden. »Es ist toll, was sich in der Stadt getan hat, und wir sind froh, einen Baustein beitragen zu können«, sagt Jädike. Geleistet wird dieser Baustein gegen die Einsamkeit von Jädike gemeinsam mit fünf weiteren Karbenern, darunter Großer-Arz als Initiatorin des »Telefonplauschs«. Nun stehen die Ehrenamtlichen in den Startlöchern und warten auf interessierte Anrufer am anderen Ende der Leitung.
»Ich war mein Leben lang aktiv und habe immer gern neue Leute kennengelernt«, erzählt Großer-Arz. Heute könne sie das aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr und müsse viel daheim sein. Da sei die Idee entstanden, auf einem neuen Weg – nämlich übers Telefon – neue Freundschaften entstehen zu lassen.
»Nichts ist so traurig, wie allein zu sein«, sagt Fechner. Wirklich allein ist die 90-Jährige zwar nicht: Sie lebt mit Tochter und Schwiegersohn im Haus, die beiden kümmern sich liebevoll um sie, ihr Sohn sowie die zwei Enkel kommen regelmäßig zu Besuch. Aber: »Es ist niemand da, um in alten Zeiten zu schwelgen«, erzählt sie Großer-Arz am Telefon. Weil es vielen so geht, wendet sich der »Telefonplausch« explizit an Senioren – aber nicht nur. Auch Jüngere dürfen zum Hörer greifen.
Dass dieser Griff zum Hörer mitunter aber schwerfallen kann, weiß Jädike als Projektleiterin genau. »Wir haben im ersten Schritt durchaus eine Hürde, die wir überwinden müssen: Nämlich dass wir uns persönlich ja nicht kennen«, beobachtet sie eine Schwierigkeit. Eine solche Scheu vorm Gegenüber kennt Anruferin Renate Fechner nicht: »Ich war noch nie schüchtern«, sagt die Seniorin.
Ist die Hürde schließlich überwunden und entstehen neue Kontakte übers Telefon, so könnten diese irgendwann auch ins »echte Leben« übertragen werden, skizziert Jädike eine Option – ausdrücklich aber keine Verpflichtung.