Bad Vilbel. Es war gestern 16.30 Uhr, als am Alten Rathaus die Gedenkfeier an den Judenpogrom vor 70 Jahren stattfand. Bewusst hatten die beiden Veranstalter, die jüdische und die politische Gemeinde, erstmals diese Stunde gewählt, um des nationalsozialistischen Terrors in der Stadt zu gedenken.
Den Rednern, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Bad Vilbel, Rafael Zur, und Bürgermeister Dr. Thomas Stöhr (CDU), gelang es, den Versammelten die schlimmen Taten zu vergegenwärtigen, denn genau am späten Nachmittag jenes 10. November hatten sich Nazi-Anführer und -Mitläufer im Schatten des Rathauses zusammengerottet. Rafael Zur skizzierte Szenen und erinnerte an kriminelle Vorfälle: „Die Geschäfte wurden demoliert und beraubt, die Kassen geplündert und vor allem die zahlreichen Schuldbücher und Schuldscheine entwendet, zerrissen oder verbrannt“. Mobiliar, Kleider, Wäsche, Klaviere wurden auf die Straße geworfen und vom Mob geraubt. „Noch heute essen manche Vilbeler Bürger an Festtagen von und mit jüdischem Geschirr und Besteck“, sagte Zur. Er erinnerte daran, dass der Quellenbesitzer Seelig schwer verletzt wurde und den Transport in ein Frankfurter Krankenhaus nicht überlebte. Auch der von den Schlägern verletzte Quellenbesitzer Dr. Schäfer sei wenig später gestorben. Nur wenige Vilbeler seien in der Stadt verblieben.
Rathauschef Dr. Thomas Stöhr forderte die Anwesenden auf, „uns zu hüten vor Voreingenommenheit und Missachtung“.
Nach der eindringlichen Vergegenwärtigung des damals Geschehenen, legten die Versammelten eine Gedenkminute ein, bevor Rabbiner Raskin in einem hebräisch gesprochenen Gebet das Unrecht an den Juden noch einmal beschwor. Die Veranstaltung, mitten im Verkehrslärm des abendlichen Berufsverkehrs, wurde in einem ruhigen Rahmen im Alten Rathaus fortgesetzt. (hgm) Seite 6