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Religiöse Möblierung – Das Wort zum Sonntag

Ein Ehepaar, beide über 60, hat sich neu eingerichtet. „Wir sind jetzt in Rente und viel mehr zu Hause“, sagten sie, „da wollen wir es schön haben.“ Zu Hause sein in neuen Möbeln. Ob ich das könnte? Möbel sind für mich wie lebendige Wesen: Manche sind alte Freunde, andere Neuankömmlinge, und immer entscheiden die alten Freunde, ob der Neuzugang passt. Bei den alten kenne ich jede Macke, bei den neuen schmerzt jede Verletzung. Ich mag die Möbel, weil sie mir Geschichten erzählen, von mir selbst, Geschichten von Menschen, die gestorben sind. Wenn ich mich an unseren Esstisch setzte, sind zum Beispiel meine Eltern als stumme Gäste dabei. Ich erinnere mich, wie der Tisch in meinem Elternhaus stand und wir als Familie darum saßen, redeten, aßen, Gesellschaftsspiele spielten. Und ich erinnere mich an den Ausspruch unserer Tochter, die den neuen Tisch ablehnte. Der neue musste in mein Arbeitszimmer, denn „in unser Esszimmer gehört ein runder Tisch und kein anderer“, so ermahnte sie uns Erwachsene. Heute bedecken Tischdecken die Narben des Tisches: Beim Einbruch zerschrammten Glassplitter das Furnier, ein zu heißer Topf hinterließ Spuren. Trotzdem würde ich mich nicht von diesem Tisch trennen wollen. Ihn auf den Sperrmüll zu werfen, wäre mir unerträglich. Ebenso der Gedanke, mich mit Möbeln zu umgeben, die mir keine Geschichten erzählen könnten. Darf man über Gegenstände des täglichen Lebens so denken, dass sie zu Freunden werden? Für mich ist das keine Frage. Der alte Tisch und ähnliche Lebensbegleiter ermöglichen mir – auf sehr alltägliche Weise – mit dem Ganzen in Kontakt zu bleiben. Mit den eigenen Wurzeln und der eigenen Geschichte.

Im Sonntagsgottesdienst mache ich manchmal ähnliche Erfahrungen. Seine Einrichtung, um im Bild zu bleiben, ist mir seit Kindertagen vertraut. Da gibt es feste, in jeder liturgischen Ordnung wiederkehrende Elemente, auf die ich mich verlassen kann. Vertraut sind auch die biblischen Geschichten. Sie werden im Gottesdienst ja wieder und wieder vor uns hingestellt. In der Hoffnung, dass wir sie in neuen Alltagserfahrung auch neu hören. Manchmal aber haben sich Lebensumstände und Gefühle so fest mit religiösen Bausteinen verbunden, dass sich beim Wiederhören alte Bilder vordrängen: Bei manchen Liedern sehe ich den Weihnachtsbaum von früher vor mir. Das Vaterunser lässt immer auch Erinnerungen an Beerdigungen aufsteigen. Ganze Lebensbögen werden da geschlagen. Gottesdienst und die Begegnung mit sich selbst schließen sich nicht aus. Im Gegenteil. Ich denke, es gibt wenige Menschen, in deren innerem Haushalt sich nicht so etwas wie elementare religiöse Möblierung findet. Es kann ein Abenteuer sein, danach zu suchen und – wenigstens gastweise – darin wieder Platz zu nehmen.

Pfarrerin Irene Dannemann,

Ev. Heilig-Geist-Gemeinde

Bad Vilbel – Heilsberg