Neuer Abschnitt der Renaturierung der Nidda bald fertig
Bad Vilbel. Eigentlich entscheidet ein Fluss über Tausende Jahre selbst, wo er entlangfließt, doch die Kanalisierungen in den 1960ern hatten auch der Nidda ihren natürlichen Lauf genommen. Gewässerökologen Gottfried Lehr hat sich zur Aufgabe gemacht, diesen natürlichen Verlauf zu rekonstruieren. Nördlich der Kernstadt werden dabei erste Erfolge sichtbar.
Seit knapp fünf Wochen laufen die Renaturierungsarbeiten an den rund 700 Metern des Niddalaufs zwischen der Büdinger Straße und der Lieschenbrücke. Auf 300 Metern wurde der Niddalauf verbreitert, Buchten ausgebaggert sowie Buhnen und Inseln angelegt. Doch Lehr möchte zunächst auf etwas anderes hinweisen: »Wir konnten deutlich mehr Bäume erhalten als gedacht«, freut er sich.
Dass das nicht selbstverständlich war, wird in Anbetracht des schweren Baugeräts schnell deutlich. Mit weit ausholenden Schüben schaufelt ein großer Bagger rigoros das Ufer weg und lädt die Erde auf einen Laster. Der fährt sie nur wenige Meter weiter, wo sie zum neuen Damm aufgeschüttet wird.
BAUMEISTER & KÜNSTLER
Lehr verbringt täglich mehrere Stunden auf der Baustelle und wird schnell ungeduldig. »Mit einem größeren Bagger, wären wir doppelt so schnell«, sagt er. Doch auch so hat der Bagger schnell eine neue Bucht oder, wie der Fachmann sagt, »Aufweitung« ins Ufer gebuddelt.
Alles muss abgestimmt sein: »Die Insel dort haben wir so angelegt, dass sie die Strömung genau in die Ausweitung lenkt«, erklärt der Fachmann. Aus diesem Grund wird die Renaturierung auch mit dem Flusslauf vollzogen, denn mit jeder neuen Bucht, jeder in den Fluss hineinragenden Buhne und jeder weiteren Insel ändert sich auch der Strömungsverlauf. Die nächsten Strukturelemente müssen dann genau darauf angepasst werden.
»Noch sieht das hier alles aus wie frisch vom Friseur«, witzelt Lehr. Die Ufer sind noch ohen Grün, und die Inseln bestehen aus dem grauen Beton, der bisher die Befestigung des Kanalufers gebildet hat. Doch diese Optik soll sich schnell ändern. »Da gehen ein paar Hochwasser drüber, dann ist auf der Insel kein Beton mehr zu sehen«, prophezeit Lehr. Und auch die Ufer sollen schnell wieder ergrünen. Dafür haben die Bauarbeiter extra die obere, belebte Erdschicht aufgehoben.
Etwa eine Woche nach Ostern sollen die Arbeiten fertig sein. Neben weiteren Ausweitungen und Inseln soll auch Kies aus dem Taunus herbeigekarrt werden und die Ufer noch lebensfreundlicher machen. Höhepunkt dieses Bauabschnitts ist allerdings die Furt hinüber zum Dottenfelderhof. Auf einer Breite von zehn Metern soll die Nidda mit Kies so weit aufgeschüttet werden, dass die Dotti-Kühe entspannt ans andere Ufer waten können.
Das taten sie zwar auch schon im vergangen Sommer, begünstigt von Niedrigwasser, die neue Furt soll jedoch über ein abgeflachtes Ufer deutlich entspannter zu erreichen sein. Und Lehr hofft, dass diese Furt nötig wird: »Wenn ich den Wasserstand sehe, wage ich nicht an den Sommer zu denken«, sagt der Gewässerökologe, »doch das kann sich auch ganz schnell wieder ändern«, fügt er hinzu. Gottfried Lehr ist Optimist.
Während die Kühe auf ihren bequemen Fußweg warten müssen, genießen andere Tiere die Renaturierungsarbeiten bereits jetzt: »Wenn der Bagger kommt, hauen die Fische kurz ab, kommen aber ein paar Sekunden später wieder in den aufgewühlten Schlamm zurück. Für die Fische ist das gerade wie Weihnachten«, erklärt Lehr.
BAGGER ABGERUTSCHT
Fast hätten die Arbeiter den Fischen vor wenigen Tagen jedoch ein Geschenk gemacht, auf das sie nur allzu gerne verzichten. Beim Versuch, Kies aus der Flussmitte ans Ufer zu schippen, sei der Bagger am klitschigen Ufer langsam immer weiter Richtung Wasser gerutscht. Mit einer Raupe wurde der Bagger dann wieder auf den sicheren Damm geschoben.
Sobald die Renaturierung abgeschlossen ist, wird auf dem Damm ein neuer Rad- und Fußweg angelegt. Weiter weg vom Wasser als zuvor, aber immer noch nah genug, um den Fluss zu erleben. »Hier in der Ortsrandlage sollen Mensch und Tier den Fluss gleichermaßen genießen können«, betont Lehr.
Und noch eine weitere wichtige Aufgabe steht bevor: Die Renaturierung der anderen Flussseite. Denn so sei das nur die halbe Miete, erklärt Lehr. »Am anderen Ufer werden Buhnen und Ausweitungen so gespiegelt, dass die Nidda in schönen Bögen fließt.« Wann es genau zu diesen Arbeiten kommt, sei jedoch noch nicht festgelegt.
Aus Lehrs Mund klingt das jedoch nicht wie ein Lob, mehr wie eine Kampfansage an noch nicht renaturierte Abschnitte. Denn so optimistisch der Blick nach vorne auch sein mag, Lehr wird die Folgen der Kanalisierungen in den 60ern nie vergessen und mahnt: »Der Fluss war damals in einem unfassbar schlechten Zustand, eigentlich war er tot.«
Von Dominik Rinkart