Illegale Brunnenbohrungen und Goldgräberstimmung: Heimatforscher Stefan Kunz lieferte beim Geschichtsverein einen spannenden Rückblick auf die wilden 1920er Jahre in Bad Vilbel, wo 22 privat gebohrte Quellen für Chaos sorgten.
Bad Vilbel. Rückblicke auf Firmengeschichten, das sind meist im Nachhinein zwangsläufig erscheinende Erfolgsgeschichten. Dass es auch andersherum geht, beweist Stefan Kunz. Der Hassia-Mitarbeiter und Lokalhistoriker berichtete vor vielen Besuchern in der Stadtbibliothek von der gescheiterten Gründung eines Brunnenbetriebs – und illustriert mit detaillierten Dokumenten die abenteuerlichen Gründerzeiten der Vilbeler Brunnenindustrie. Dabei gab ein Zufall den Anstoß. Klaus-Dieter Kneip, ehemaliger Chef der Karbener Kelterei Rapp’s, überließ ihm vor zwei Jahren einen prall gefüllten Aktenordner aus Familienbesitz.
Darin wird mit Entwürfen, Rechnungen und Kostenvoranschlägen ausführlich dokumentiert, wie der Bäckermeister Jakob Kneip seine Backstube (heute die Hinnerbäcker-Filiale am Alten Rathaus) um eine Brunnenbohrung erweitern wollte – und damit nur Rückschläge erlebte.
Kunz beginnt seinen Vortrag mit einer Postkarte von 1897, das Hauptmotiv des 4000-Seelen-Ortes waren damals die Wasserbuben. Es gab acht abfüllende Betriebe. 1911 waren es bereits elf, und es gab erste strenge Regeln. So verlangten die „Bad Nauheimer Beschlüsse“, dass Mineralwasser mindestens 1000 Milligramm gelöste Bestandteile aufweisen muss. Pech für die Wasserhändler und Brüder Hess, deren Hessenquelle deshalb zum Tafelwasser herabgestuft wurde. Doch geschäftstüchtig bohrten sie 1926 in der Friedberger Straße 9 neu, 35 Meter tief, obwohl nur 15 erlaubt waren.
Einer, der später als Kläger gegen die illegalen Brunnenbohrer auftrat, hatte aber selbst keine weiße Weste: der legendäre Carl Brod, dessen Sprudel um 1900 Vilbels Kur- und Badewesen begründete. Brod gehörte damals auch die Burg, und dort, so Kunz, ließ er heimlich 80 Meter tief bohren.
Quereinsteiger
Die Goldgräberstimmung bei den Brunnen lockte 1928/29 auch neun Quereinsteiger in die Wasserbranche: vom Kinobesitzer über den Tierarzt bis zum Landwirt und dem Bäcker Kneip wollten alle vom sprudelnden Geschäft profitieren. Ein Wünschelrutenforscher bestätigte Kneip, dass neben seiner Backstube, also neben dem Elternhaus der Hassia-Gründerfamilie Hinkel, eine Quelle sei. Kunz zitiert aus dem Auftrag für die Bohrfirma mit der „höflichen Bitte um Diskretion“, denn statt der erlaubten 15 Meter sollte es 30 Meter tief hinabgehen.
Phantasievolle Namen
Im September 1928 sprudelte es bei Kneip mit 1800 Litern in der Stunde. Die Namenssuche begann: Central-Quelle? Elia? Germanus? Frankenquelle? Doch die Obere Bergbehörde dämpfte die Hoffnungen, denn das Wasser war voller Darmbakterien. Kein Wunder, es floss neben einer Fäkalien-Sickergrube. Dazu verhängte der Kreis 1929 ein Pumpverbot, weil die „Wildbohrungen“ überhandnahmen. Im Juli 1929 mussten Kneip und 21 weitere Brunnenbetreiber im Vilbeler Quellenprozess antreten.
Abschreckend waren die Urteile jedoch nicht, so Kurz. Kneip musste 60 Reichsmark zahlen, 9000 hatte ihn die Bohrung gekostet. Andere kamen mit 30 Reichsmark oder Freisprüchen davon. Kneip durfte in der genehmigten Tiefe weiter Quellwasser zapfen, das inzwischen auch keimfrei war. Doch dann kamen der Börsenkrach und die Wirtschaftskrise dazwischen. Kneip musste neu kalkulieren. Bei 14 Reichspfennig pro Flasche und Lohnkosten für Männer von 50 Pfennig (Frauen bekamen nur 34) hätte er im Monat gerade mal 300 Reichsmark Gewinn erwarten können. 1938 machte er einen neuen Versuch, sein Gewerbe anzumelden bei der damals zuständigen Hauptabteilung der Deutschen Gartenbauwirtschaft in Berlin.
Damals war die Konkurrenz längst aktiv, es gab in dem kleinen Städtchen Vilbel 25 miteinander konkurrierende Brunnenbetriebe. Kneips Brunnen hingegen war damals acht Jahre lang nicht mehr aktiv. „Außerdem gingen die ersten Brunnen bereits in die Insolvenz: die Villa-Bella-Quelle und die Barbarossa-Quelle“, so Kunz. Auch der Jamin-Quelle ging es nicht gut. Sie lieferte Mineralwasser an die Hessischen Ölwerke, um im Gegenzug Diesel für die Lieferwagen zu bekommen.
Auch die Kneips fanden schließlich einen eigenen Brunnen. Klaus-Dieter Kneips Vater, der Wasserhändler Walter Kneip, übernahm noch 1969 im benachbarten Erzweg 2 die Venus-Quelle. 1977 fusionierte sie dann mit der damals noch in der Brunnenstadt angesiedelten Kelterei Rapp. (dd)