Bad Vilbel. „Das beste Bier seit zehn Monaten“, schwärmte vor einer Woche Jochen in der Licher-Pilsstube an der Theke von „Frau Wuschel“ in der Friedberger Straße. Denn er genoss dazu seine erste Zigarette, nachdem am Vormittag das Bundesverfassungsgericht das Rauchverbot für kleine Kneipen und Bars für verfassungswidrig erklärt hatte. Im Radio wurde gerade vermeldet, dass Bad Homburg als erste hessische Stadt das Urteil umsetze. Von wegen! „Frau Wuschel“ war schneller. Sie hatte bereits ein goldfarbenes Schild gemalt, das die Pilsstube als Raucherkneipe ausweist und Jugendlichen unter 18 Jahren den Zutritt verwehrt. „Ich muss mich erst wieder daran gewöhnen, die Ascher auszuleeren“, lachte sie, während ihre Gäste das Wirtshaus endlich wieder in den gemütlichen Qualm tauchten.
Nicht so ausgelassen war die Stimmung im Schoppe-Stübchen von Gerd Hofmann in der Frankfurter Straße. Er ist einer der Beschwerdeführer, die sich über die hessischen Jungliberalen (Julis) beim höchsten deutschen Gericht gegen das Rauchverbot gewandt haben, dessen Fall jedoch noch nicht behandelt wurde. Der Bad Vilbeler FDP-Vorsitzende Kai König hat an der Verfassungsbeschwerde maßgeblich vom Juli-Vorstand aus mitgewirkt. Er sieht das „komplizierte Urteil mit einem lachenden und einem weinenden Auge“. Denn die Karlsruher Richter hätten den Landesgesetzgebern auch die – allerdings nur als theoretisch zu bewertende – Möglichkeit eingeräumt, das Rauchen in Gaststätten ohne jede Ausnahme zu verbieten.
König unterstrich, die Entscheidung beziehe sich nur auf die Verfassungsbeschwerden aus Baden-Württemberg und Berlin. Es sei jedoch zu erwarten, dass auch bei den weiteren etwa 30 ausstehenden Urteilen – darunter auch jenes für die Julis in Hessen – darauf verwiesen werde. Für Hofmann bedeute dies, dass in seinem Schoppe-Stübchen wieder geraucht werden dürfe. Inwieweit dies auch für Gaststätten gilt, die kleinere Speisen kalt oder Fertiggerichte aufgewärmt anbieten, sei abzuwarten. Dies zu entscheiden, liege in der Hand des Landesgesetzgebers, der bis Ende 2009 den Nichtraucherschutz neu regeln müsse. Die obersten Richter hätten „die Schmerzgrenze aufgezeigt, die dabei zu beachten ist“. Sollte der Gesetzgeber allerdings der Überzeugung sein, Rauchen sei derart schädlich, dass es verboten werden müsse, dann verpflichte ihn das Urteil zu einem Verbot ohne jede Ausnahme.
Dazu wird es nach Königs Ansicht aber nicht kommen. Hofmann hingegen hält dies in Hessen nach den erbitterten Kämpfen um ein striktes Rauchverbot durchaus für möglich. Dennoch könne zunächst jeder Inhaber einer Einraumkneipe bis 75 Quadratmeter mit reiner Schankkonzession ab sofort das Rauchen wieder zulassen. Da Verfassungsgerichtsurteile unmittelbare Rechtskraft besitzen, müsse dies jeder respektieren. „Bußgeld einzutreiben ist ab sofort verfassungswidrig“, so König überspitzt. Das ist das Stichwort für Ersten Stadtrat Jörg Frank (CDU), der Verstöße gegen das Rauchverbot nicht ahnden ließ: „Das Urteil bestätigt, dass es die richtige Entscheidung war abzuwarten, denn sonst müssten wir jetzt Bußgeldbescheide zurückziehen.“ Bedenken und Gerichtsentscheidungen in mehreren Ländern hätten gezeigt, dass in dieser Frage „noch alles im Fluss“ war. Bedauerlich findet er, dass beispielsweise mit der Shisha-Bar im Marktplatzzentrum oder dem Weinkeller einige Bad Vilbeler Betriebe durch das Rauchverbot ihre Existenz verloren hätten.
„In Ordnung“ findet CDU-Stadtverordneter Jens Völker die Gerichtsentscheidung. „Es war klar, dass man für Einraumkneipen einen Kompromiss finden muss. Aber ich bin auch froh, dass alles andere nicht gekippt wurde.“ Rainer Fich (SPD), der mit dem Rauchverbot selbst zum Nichtraucher wurde, findet „den Schritt zurück nicht gut“. Er sei „heilfroh“ gewesen, dass „der wichtige Gesundheitsschutz für Nichtraucher, abgesehen von ein paar Kleingastronomen, eine so große Akzeptanz gefunden“ habe. Umso mehr bedaure er, „dass dieser Schutz nun aufgeweicht werden muss“. „Völlig daneben“ haben die Richter nach Meinung von Ulrich Rabl (Grüne) entschieden. Denn das Rauchverbot habe sich bewährt. „Es aufzuweichen macht keinen Sinn. Das stört mich.“
Nicht weit genug geht hingegen Dirk, einem Gast im Schoppe-Stübchen die Entscheidung: „Grundsätzlich sollte jeder Wirt entscheiden können, ob in seiner Kneipe geraucht wird oder nicht.“ Er rechnet mit Klagen aus anderen Bereichen der Gastronomie. Ob das Rauchverbot ein Wahlkampfthema werden könnte? „Ist es doch längst in Bayern. Hat man schon erlebt, dass die CSU um 50 Prozent gezittert hat?“ Einigkeit besteht darin, dass nun ein neuer Gesetzentwurf abgewartet werden muss. „Aber zuerst“, meint Frau Wuschel, „haben alle Raucher einen Grund, zum Feiern in die Kneipe zu kommen.“