Starke Szenen einer Premiere: Mit dem Musical „Sunset Boulevard“ gelingt den Bad Vilbeler Burgfestspielen eine kunstvolle und bewegende Inszenierung. April Hailer dominiert mit einer fast schon aggressiven Hingabe in der Rolle des alternden Hollywood-Stars Norma Desmond.
Bad Vilbel. Die Fallhöhe ist immens auf der drehbaren Showbühnentreppe, die zurück ins Hollywood anno 1949 führt. Doch Regisseur Benedikt Borrmann und seine Hauptdarstellerin April Hailer setzen präzise Schlaglichter auf das Illusionsgeschäft mit den „Träumen aus Licht“ und der ewigen Jugend. Die Ausstattung der Bühne zeigt: Hier geht es um das Wesentliche, Schnickschnack ist überflüssig. Das reduziert Bühnenbildnerin Pia Oertel auf griffige Symbole.
Weil es um den Lebensabend einer alternden Stummfilm-Diva geht, ist das Dekor schwarzweiß und gewunden in Form einer geöffneten Filmdose. Dazu die Showtreppe und als Requisit ein silberner Liegesessel. Das genügt, denn nichts soll vom eigentlich kammerspielartigen Erzählton des Musicals ablenken. Nicht die elf Musiker des Orchesters, die hinter den Kulissen verschwinden, auch nicht das bunte Treiben vor und hinter den Studiokameras.
Joe Gillis (Robert David Marx), der abgebrannte Drehbuchautor, der bei der Diva Norma Desmond (April Hailer) und ihrem Butler Max (Andrea Matthias Pagani) Zuflucht findet, ist zu Beginn des Stückes schon tot. Zwei Schüsse knallen, dann liegt er auf der Drehbühne statt im Schwimmbecken, wie in Billy Wilders zugrunde liegender Verfilmung. Joe erzählt das vergangene halbe Jahr als Erzähler aus dem Jenseits, etwa die Flucht vor einem Geldeintreiber, im Film eine Verfolgungsjagd, auf der Bühne ein kurzer Sprint.
Glitzernde Fassade
Doch um solche äußeren Dinge geht es gar nicht, die Inszenierung konzentriert sich vor allem auf die heikle Begegnung des jungen Eindringlings mit der in ihrem Schattenreich ihren Ruhm konservierenden Diva, es geht um Jugend und Alter, Träume, die zu Illusionen verwittern. Als Kontrast zur Schwarzweißwelt der Norma wird die schillernde Außenwelt durch bunte Beleuchtung illustriert. Dort trifft Joe die junge Betty Schaefer (Janne Marie Peters), gemeinsam schreiben sie ein Drehbuch, feiern mit Hollywood-Jungtalenten Partys, in denen das Tanz-Ensemble auftritt. Doch die Musical-Nummern, so temperamentvoll sie auch sind, bilden nur die glitzernde Fassade, hinter der das Drama spielt.
Dessen Heldin ist April Hailer, die den Charakter des aus der Zeit gefallenen Filmstars unerbittlich in seine Bestandteile aufspaltet. Sie ist die Dompteuse der verlebten Gefühle, denen sie mit kraftvoller Sopranstimme Ausdruck verleiht. Mit einer schon aggressiven Selbstbehauptung durchlebt sie die Stadien der Flucht aus der Realität. „Ich bin groß, die Filme sind klein geworden“, sagt sie. Joe Gillis ist für Norma nur ein Sport-Partner, ihr Butler Max entpuppt sich später als ihr Entdecker und erster Ehemann. Beide werden für sie zur Projektionsfläche ihrer Bedürfnisse nach Bewunderung. Mal ist sie die herrische, launige Diva, dann die mit verklärtem Blick in ihre Erinnerungen abtauchende Träumerin – oder die jugendlich gekleidete Eroberin. Besonders eindrucksvoll gerät eine Szene, in der Norma ein Filmstudio besucht. Dass dort eigentlich ein Tonfilm, gedreht wird, spürt sie nicht. Die Akteure frieren in ihren Bewegungen zum nachtblau beleuchteten Standbild wie im Dornröschenschlaf ein, während Norma sich an ihr Starleben erinnert.
Neben Hailer können auch Marx, Peters und Pagani mit eindrucksvollen Solo-Partien überzeugen. Am Ende gibt es kräftigen Bühnenapplaus, wobei auch Peters für ihre resolut-unschuldige Darstellung der Betty gefeiert wird.