Abgefahrene Bremsen, ein Wackelkontakt im Dynamo oder der Achter im Rad: Oft sind es Kleinigkeiten, die radelnden Flüchtlingen Sorgen bereiten. Ein sechsköpfiges Team hilft – nicht nur beim Schrauben.
Karben. Das filigrane Kabel muss an genau diese Stelle. „Gleich haben wir es“, murmelt Hans-Jürgen Kuhl, während Ali Hussein die Lampe hält. Der 34-jährige Flüchtling ist heute in die Fahrradwerkstatt gekommen, weil sein Licht defekt ist. Also hat er gemeinsam mit Kuhl den Dynamo ersetzt, den Anschluss geprüft, die Kabel neu befestigt. „Das sind keine großen Sachen“, sagt der frühere Ingenieur. „Doch weil wir zum Beispiel keine richtige Prüfeinrichtung haben, ist es zum Teil knifflig.“
Kuhn ist keinesfalls in einer professionellen Werkstatt zugange, sondern in der Fahrradwerkstatt, die die Flüchtlingshilfe Karben ins Leben gerufen hat. Diese hat sich in den fast drei Jahren ihres Bestehens auf ganz eigene Weise professionalisiert: Nach dem Umzug aus den anfänglichen Räumen in einem Schuppen auf dem Jukuz-Gelände ist das sechsköpfige Team Anfang des Jahres in großzügige Kellerräume der Flüchtlingsunterkunft in der Max-Planck-Straße gezogen.
„In unserer alten Werkstatt waren die Umstände untragbar“, erklärt Elke Stelz, die seit vergangenem Sommer dabei ist. Wasser und Strom fehlten, Ehrenamtliche hätten sogar die Arbeit verweigert. „Mit Druck“ hat sich die Karbenerin dann dafür eingesetzt, die neuen Räume zu bekommen. „Nun haben wir Bedingungen, unter denen es sich auch arbeiten lässt.“ Das Team hat den Keller eigenhändig mit Regalen und Tischen ausgestattet, durch zahlreiche Spenden ist mittlerweile fast jedes Ersatzteil auf Lager. In einer Ecke steht eine handvoll Räder, die noch verteilt werden können.
Teilhabe per Rad
„Jeder Flüchtling in Karben erhält von uns ein Rad“, erklärt Stelz. Der Hintergrund: „Mobilität ist sehr wichtig für gesellschaftliche Teilhabe“, erklärt die Ehrenamtliche. „Mit einem Fahrrad hat man die Möglichkeit, aus den Unterkünften raus zu kommen, das neue Umfeld zu erkunden, den Einkauf zu machen, zum Deutschkurs und zur Arbeit zu fahren oder mit den Kindern einen Ausflug zu machen.“ Rund 20 Männer tummeln sich mit ihren Rädern an diesem Mittwoch in den Kellerräumen, die plötzlich gar nicht mehr so großzügig wirken. „Manchmal stehen sie schon Schlange, wenn ich komme“, so Stelz.
So auch Ali Hussein. Der 34-Jährige, der seit gut einem Jahr in Karben lebt, ist auf sein Rad dringend angewiesen. Auf dem Gepäckträger, dessen Dynamo Kuhl gerade ersetzt, ist ein Kindersitz befestigt. „Ich fahre damit jeden Morgen meine kleine Tochter in den Kindergarten“, sagt Hussein.
Dabei geht es in der Fahrradwerkstatt um mehr als nur das Schrauben: Es geht auch um den Austausch mit den Karbenern, das Vermitteln von Werten. „So bekommt etwa niemand ein zweites Rad. Das heißt, die Flüchtlinge müssen gut darauf achtgeben, dass es nicht gestohlen wird“, erklärt Stelz. So gibt sie Tipps, wo Fahrradschlösser im Angebot sind. Bei der Übergabe des gebrauchten, reparierten Rades unterschreiben die Flüchtlinge in einem „Vertrag“, dass sie diese Bedingung verstanden haben und die deutschen Verkehrsregeln kennen – ein Infoblatt dazu gibt es auf Arabisch. Und für das passende Vokabular in der Werkstatt gibt es ein Übungsblatt: Pedale, Sattel, Schutzblech.
Private Spenden
An den Teilen selbst ist viel Arbeit nötig. Die Drahtesel sind private Spenden oder kommen aus dem Fundbüro, nicht wenige stehen schon zehn Jahre im Keller, bevor sie wieder zum Einsatz kommen sollen. „Viele sind wahre Leichen“, bringt es Rainer Walka auf den Punkt. „Dann geht es darum, aus fünf Leichen ein Rad wieder zum Leben zu erwecken.“ Walka ist der Profi im Team: Bis 2006 hatte er seine eigene Fahrradwerkstatt.
Seinen aktuellen Fall kann Habtom Semere Bahta (26) selber lösen. Gerade schraubt er an der Gangschaltung von Ali Farah. Als er ihm sein Rad übergibt, geben sich die jungen Männer kurz die Hand. Und auch Ali Hussein lächelt: Er kann am nächsten Tag seine kleine Tochter wieder mit dem Rad in den Kindergarten bringen.
Weitere Spenden gesucht
Das Team der Fahrradwerkstatt sammelt gespendete, gebrauchte Fahrräder, repariert sie mit den Flüchtlingen. Das Angebot ist auch für deutsche Jugendliche offen. Gesucht werden Spenden – seien es ganze Räder oder Ersatzteile. Kontakt über Elke Stelz per E-Mail an elke.stelz@gmail.com, Telefon (01 77) 7 15 71 75. Spenden an das Spendenkonto Evangelischer Regionalverband, Iban DE29 5206 0410 0004 100255, Verwendungszweck Ev. Kirchen- gemeinde Klein-Karben, Kenn- wort Flüchtlingshilfe. (jkö)