Die traditionelle Osterwanderung startete in der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag in Karben. Ausschließlich Männer machten sich auf den 30 Kilometer langen Weg, der quer durch die Felder bis nach Altenstadt führt. Viele sind gekommen, um schweigend, erzählend und betend durch die Nacht zu wandern.
Karben. In der Nacht vom Donnerstag auf den Freitag schlafen Jesu’ Jünger bereits nach den Geschehnissen beim letzten Abendmahl. Er selbst weiß, dass er verraten wurde und ahnt, was ihm bevorsteht. Denn die Römer wollen den ungeliebten Prediger möglichst öffentlichkeitswirksam loswerden. Jerusalem ist ein Pulverfass, die Angst vor Aufrührern ist groß unter den Besatzern. „Und während die Jünger geschlafen haben, laufen wir“, sagt Richard Jöckel. Er ist einer der Wanderer am Treffpunkt im Gemeindehaus der Karbener Bonifatius-Gemeinde.
„Ich bin seit drei Wochen in Pension und suche nach neuen Wegen“, erklärt Jöckel nachdenklich seine Absichten für die Nacht. Schon mehrfach sei er bei der Wanderung von Karben nach Altenstadt dabei gewesen. Dabei habe er vor allem gelernt: „Beim Pilgern kommt immer noch etwas mehr Weg dazu, als man es vorher geplant hat.“
Auf der Bonifatiusroute
Mitorganisator der Nachtwanderung, die von der katholischen Männerseelsorge des Bistum Mainz angeboten wird, ist der Karbener Koch Reiner Neidhart. „Es müsste in diesem Jahr die zehnte Wanderung sein, wir haben also ein kleines Jubiläum“, überlegt er. Solche Wanderungen finden an mehreren Orten im Bistum statt. Der gelaufene Weg nach Altenstadt ist Teil der Bonifatiusroute, ein Pilgerweg, der von Mainz bis nach Fulda führt.
Über Burg-Gräfenrode, die Basilika Ilbenstadt und Assenheim geht es zum Kloster Engelthal in Altenstadt. „Die Ankunft ist für etwa 8 Uhr geplant, dort erwartet uns ein Frühstück“, erklärt Neidhart.
Thomas Stierwald ist ein weiterer Pilger. „Ich bin begeistert mit dabei.“ „Christliche Aspekte halte ich in dieser Nacht für sehr wichtig. Für mich ist das Laufen an sich außerdem wichtig, denn so kann man Kirche einfach mal ganz anders erleben“, findet Stierwald. Man bekomme eine andere Verbindung zu christlichen Themen und Fragen. „Kirche ist schließlich nur, was die Menschen daraus machen. Und deshalb sagt man zum Pilgern ja auch: ’Beten mit den Füßen’“, weiß der Wanderer.
Christ-Jan Weinert läuft die Route zum ersten Mal mit. „Ich habe lange überlegt, ob das hier etwas für mich ist. Letztendlich denke ich aber, dass Pilgern gut für die Seele ist. Ich bin neugierig und möchte einfach mal etwas Neues ausprobieren“, sagt er.
Alles zurück lassen
Reiner Neidhart weiß genau, warum das Pilgern einen so hohen Stellenwert für ihn hat: „Wichtig ist, dass Leute die Möglichkeit haben, einfach mal alles hinter sich zu lassen.“ Man komme ins Gespräch, was er vor allem an einem Beispiel festmachen wolle, dass ihm im Gedächtnis geblieben sei: „Vor einigen Jahren ist mir hier ein Mann aufgefallen, der sich sehr herzlich von seiner Frau verabschiedet hat. Später auf der Wanderung habe ich ihn dann einfach mal angesprochen und ihn gefragt“, erinnert sich Neidhart. Der Mann habe ihm dann von einer schweren und plötzlich aufgetretenen Krebserkrankung seiner Frau berichtet, er sei mitgewandert, um sich einfach mal austauschen und den Alltag hinter sich lassen zu können. „Männer erzählen einander mehr, wenn die Frauen nicht dabei sind – das darf heute Nacht mal so sein.“
Verlaufen habe sich die Gruppe noch nie wirklich, Regen und Sturm habe man erst ein Mal gehabt, sagt Reiner Neidhart. „Das ist aber auch das Schöne am Pilgern: Die Etappen verändern sich, je nach den Umständen.“ Die knapp 30 Kilometer nach Altenstadt seien bisher ebenfalls meist ohne Probleme von allen gewandert worden, zur Not könne man sich aus dem Feld aber abholen lassen, erklärt er. Manche der Männer tragen Sport-, manche Wanderkleidung. Andere sind alltäglich angezogen. Nur im festen Schuhwerk sind die Pilger vereint.
Der jüngste Wanderer ist 15, der älteste im hohen Rentenalter. Aus Frankfurt, Aschaffenburg und allen Orten der Wetterau kommen die Teilnehmer. Eine kurze Begrüßungsrunde mit thematischer Einstimmung, dann wird vor dem Gemeindehaus das Vater Unser gebetet. Und schließlich geht es los. Vordermann und Schlusslicht der Gruppe sind mit Lampen gekennzeichnet, ein hölzernes Kreuz markiert die Spitze der Wandergruppe.