Von Christine Fauerbach
„Hass ist ein schlechter Begleiter, aber Vergeben und Vergessen kann ich nicht“, sagt Edith Erbrich, die als Kind ins Lager Theresienstadt deportiert worden war, bei einer Lesung mit anschließendem Gespräch zum Holocaustgedenktag in der Vilbeler Stadtbibliothek am 26. Januar. Eingeladen hatten die Lagergemeinschaft Auschwitz – Freundeskreis der Auschwitzer und das Kulturamt Bad Vilbel.
Bad Vilbel. Vergeben und vergessen kann sie nicht den Tätern, die weder Rücksicht auf Kinder noch Senioren nahmen, die tagsüber Menschen quälten und totschlugen, um dann abends ausgelassen zu Schlemmen und zu Feiern oder sich an klassischer Musik erfreuten. So wie eine Aufseherin in ihrer Baracke, welche die siebenjährige Edith zur Strafe einen Tag lang ohne Trinken und Essen den Holzfußboden schrubben ließ.
Die Würde genommen
„Man nahm uns jede Würde. Wir durften noch nicht einmal die Tür vom WC schließen. Ich werde nie verstehen, welche Menschen diese Aufseher waren. Die meisten von ihnen sind tot. Alle, die noch leben sollten in jedem Alter zur Rechenschaft gezogen werden“ sagt Edith Erbrich. Mit ihrem Engagement als Zeit-zeugin will sie die Perspektiven der Opfer und ihrer Nachkommen in den Mittelpunkt stellen und nicht die der Täter.
Das Anliegen von Edith Erbrich ist es, dass sich Kinder und Jugendliche mit ihrer Hilfe „ein Bild“ von diesem verheerenden und menschenverachtenden Teil der deutschen Geschichte machen können. Deshalb begann 2001 nach ihrer Erwerbstätigkeit als Industriekauffrau bei der Frankfurter Rundschau „ihr zweites Leben“ als Zeitzeugin.
Beugehaft der Mutter
Geboren wurde Edith Erbrich 1937 in Frankfurt am Main. Aufgewachsen ist Edith Bär wie ihr Mädchenname lautet, mit ihrer vier Jahre älteren Schwester Hella in der Frankfurter Ostendstraße als Tochter einer katholischen Mutter und eines jüdischen Vaters. Da Mutter Susanna sich trotz Beugehaft weigerte, ihren Mann zu verlassen, wurde den Töchtern das „J“ in den Kinderausweis gestempelt und sie durften nicht zur Schule gehen.
Der schlimmste Tag ihres jungen Lebens brach am Morgen des 14. Februar 1945 an. Da begann für Vater Norbert Bär und seine Töchter die Deportation in Viehwaggons ins Lager Theresienstadt. Die Mutter musste zurückbleiben, durfte nicht mit, da sie eine „Arierin“ war. Vielleicht öffneten sich aus diesem Grund noch einmal die Türen und es erklang der Befehl, die Mädchen noch einmal hoch zu heben, ihre Mutter wolle sie noch einmal sehen. „Da sah ich meine Mutter weinen.“
In den kommenden Monaten bis zur Befreiung der Familie Bär in der Nacht vom 7. auf den 8. Mai 1945, bestimmten Angst, großes Heimweh, stundenlanges strapaziöses Stehen in der Kälte, das Einteilen der Essensrationen und vor allem der „Hunger, der immer da war“ das Leben der Mädchen und ihres Vaters. „Es haben sich Dinge ereignet, die nimmt einem niemand ab.“ Und dies nicht nur in Theresienstadt, sondern bereits zuvor in Frankfurt, wo Nachbarn als schadenfrohe Gaffer den Abtransport der Familie beobachten.
Edith Erbrich gibt den vielen Kindern unter den Opfern eine Stimme und Gesicht. Sie vermittelt Schülern wie auch ihrem Publikum in Bad Vilbel einen neuen Zugang und Wissen aus erster Hand über einige Facetten des Nationalsozialismus und Holocaust am Beispiel ihrer Familie. Sie schildert nicht nur die unvorstellbaren Schrecken, die sie wie alle anderen jungen Häftlinge durchlitt, sondern berichtet auch von „stillen Helfern und Helden“, die dem Terror unter Gefahr ihres eigenen Lebens Menschlichkeit und Wärme entgegensetzten.
Opfer ohne Grab
„Vor Heimweh, Hunger und Angst vor der Aufseherin waren wir wie gelähmt. Wir hatten kein Spielzeug, waren nie allein.“ Die älteren Kinder über zehn Jahre wie ihre Schwester mussten arbeiten, die kleineren wurden eingesperrt. Die Bärs kehrten wie auch die Oma väterlicherseits nach Frankfurt zurück. Der Opa gehörte zu den vielen Opfern ohne Grab.
Die Schwestern reisten 1998 erstmals nach ihrer Befreiung nach Theresienstadt, besuchten die dortige Gedenkstätte. Am 4. Oktober 2007, „am Geburtstag meines Papas“, erhielt Edith Erbrich das Bundesverdienstkreuz. „Ich nehme solche Auszeichnungen für alle an, die nicht mehr nach Hause kamen und die nicht vergessen werden dürfen.“
Musikalisch umrahmt wurde die Lesung eindrucksvoll von Vassily Dück auf dem Bajan mit Werken, die von Theresienstadt-Häftlingen komponiert wurden. (fau)