Buh-Rufe und Pfeifkonzerte mussten sich Bad Vilbeler Politiker vor und auch im Stadtparlament anhören. Und so manch eine Reaktion darauf empört die Eltern nun richtig. Ein Sturm der Entrüstung entwickelt sich.
Bad Vilbel. Keine Sitzplätze mehr gibt es am Dienstagabend vor Weihnachten zu Beginn der Stadtverordnetenversammlung im Kultur- und Sportforum. Bereits eine Stunde vor der Sitzung versammeln sich zunächst 60, später mehr Eltern, um ihrem Unmut über die zur Verabschiedung anstehenden neuen Kita-Gebühren Luft zu machen. In der Hand halten sie Plakate, auf denen Prozentzahlen teilweise über 50 Prozent stehen. So viel mehr müssten die Eltern nun für die Betreuung zahlen.
Der Grat der Höflichkeit ist dabei schnell überschritten: Auf Anfeindungen beim Hereingehen platzt dem Polit-Profi Jörg-Uwe Hahn (FDP) schon der Kragen: „Sie tun mir richtig leid!“, ruft er einem aufgebrachten und lautem Vater zu. In der Wortwahl deutlich vergriffen haben soll sich indes CDU-Abgeordnete Beatrice Schenk-Motzko: „Wenn ich es mir nicht leisten kann, bekomme ich halt keine Kinder!“ Dieser vermeintliche Ausspruch löst dann auch am Tag darauf in den sozialen Medien einen Sturm der Entrüstung aus.
Doch Schenk-Motzko sieht ihre Wortwahl hier verdreht. Sie sei nach der Sitzung mehrfach lautstark gefragt worden, ob sie selbst Kinder habe. Als sie verneinte, sei sie nach dem Warum gefragt worden: „Weil ich es mit derzeit nicht leisten kann“, habe sie geantwortet. Im Gespräch mit der FNP sagt sie, dass dies ihre privaten Gründe seien. Doch auch unabhängig von eigener Mutterschaft könne man sachlich über das Thema diskutieren. Das sei mit den aufgebrachten Eltern und den von ihnen zum Pfeifen aufgestachelten Kindern nicht möglich gewesen. „Der Verdacht, die jetzt dargestellt Aussage getätigt zu haben, trifft mich. Denn meine Bekannten wissen, dass ich so nicht auf Anfeindungen reagiere“, schildert Schenk-Motzko.
Dabei sind es die wenigsten Eltern, die die Debatte überhaupt verfolgen können: Denn das brisante Thema befindet sich fast ganz am Schluss der Tagesordnung, wird erst deutlich nach 21 Uhr eröffnet. Zuvor hatten die CDU und FDP mit ihrer Stimmenmehrheit die übliche Zeitbegrenzung der Parlamentssitzungen aufgehoben, so dass bis nach 23 Uhr debattiert wurde.
Spagat mit Ausreißern
Am Anfang der Sitzung jedoch haben sie auch mehrere Versuche verhindert, das Thema zeitlich weiter nach vorne zu heben. Die SPD wollte den Antrag direkt nach der Haushaltsrede von Bürgermeister Thomas Stöhr (CDU) platziert wissen. Als das verweigert wird, setzt sich Raimo Biere (FW) dafür ein, das Thema noch vor die Etatrede zu setzen. Er scheitert genauso wie die Grünen, die die Kita-Gebühren von vornherein in den Sozialausschuss zurücksenden wollen.
Doch das Thema wird diskutiert. Jene Mütter, die mit Kind gekommen sind, befinden sich zu diesem Zeitpunkt längst zu Hause, nur einige wenige Elternteile können es sich einrichten, alles bis zum Schluss zu verfolgen. Doch sie sind am Ende genauso enttäuscht, wie jene, die vorher bereits gegangen sind. „Das ist eine Farce!“, „Da soll man sich noch wundern, wenn sich keiner mehr für Politik interessiert“, und „Die nächste Wahl kommt bestimmt!“, sind einige Aussprüche, die zu hören sind.
Gerüstet hat sich indes jeder der Redner zu diesem Thema. So verweist Sozialdezernentin Heike Freund-Hahn (FDP) noch einmal auf den „Spagat mit Ausreißern“, den die Ausarbeitung der neuen Gebührenordnung den Verantwortlichen abgefordert habe. „Wir wollen rund, was nur eckig sein kann“, räumt sie Schwachpunkte der neuen Beitragsstaffelung vor allem in den Randzeiten frühmorgens und spätnachmittags ein.
Ihr zur Seite steht CDU-Fraktionschefin Irene Utter. Sie verweist darauf, dass eine vollständige Gebührenbefreiung wünschenswert, aber nicht durch Kommunen alleine erreichbar sei. Doch sie hat die neuen Bad Vilbeler Gebühren auch mit jenen von Nachbarkommunen verglichen. Demnach nimmt Bad Vilbel bei der Betreuung der unter Dreijährigen zwar einen Spitzenplatz ein. Bei Kindern über drei Jahren und auch in der Hortbetreuung ist sie aber im Vergleich mit Karben, Friedberg, Bad Nauheim und Rosbach in den allermeisten Zeitmodulen am günstigsten. Die „einmalig großzügige Geschwisterregeung“ sei aber nicht beizubehalten. Sie sei so ungerecht, dass Eltern mit nur einem Kind in der U 3-Betreuung mehr zahlen mussten als Familien mit mehreren Kindern in der Betreuung.
In ihrer ersten Parlamentsrede kontert dies aber Mirjam Fuhrmann (SPD). Vor genau vier Jahren habe sie noch als betroffene Mutter gegen die neue Kitasatzung demonstriert. Auch damals sei sie durchs Parlament durchgepeitscht worden. Zwar sei vorher mit Elternbeiräten – Fuhrmann war für die Arbeitsgemeinschaft der Elternbeiräte dabei – gesprochen worden, doch bei der Geschwisterermäßigung etwa habe die Stadt nicht mit sich reden lassen. Auch konkrete Zahlen zur Erhöhung seien nicht genannt worden.
Ein Armutszeugnis
„Möglichst unauffällig wurden zudem die Kosten für die Randzeiten erhöht.“ Auch im Grundmodul im Ü 3-Bereich von 8 bis 12 Uhr gebe es Erhöhungen von bis zu 38 Prozent. Für eine Stadt die demnächst schuldenfrei sein werde, sei dies ein „Armutszeugnis“.
Auch Kathrin Anders von den Grünen sieht deutlich höhere Steigerungen als den angekündigten Durchschnitt von 8,14 Prozent. „Es ist eine Schlamperei des Dezernats und eine Behinderung der parlamentarischen Arbeit, wenn wir nun so wenig Zeit haben, darüber zu befinden.“ Doch am Ende kommt keiner der elf Änderungsanträge der Opposition durch.
Die bereits im Sozialausschuss abgeänderte Satzung erhält ein einstimmiges Votum, doch bei der neuen Gebührenordnung sind es die CDU und die FDP, die sie im Alleingang durchdrücken.