Karben. „An dieser Ecke habe ich zu viel Stoff abgeschnitten, das gibt jetzt beim Zusammennähen ein Problem“, sagt Kevin und blickt stirnrunzelnd auf das dicke blaue Stuhlpolster. Um den Raumausstatter im dritten Ausbildungsjahr des Berufsbildungswerkes Südhessen (BBW) stehen Besucher, lauschen seinen Erklärungen, betrachten neugierig das Sitzpolster. „Ganz klassisch hergestellt, auf einen Rahmen mit Stahlfedern und gefüllt mit veredelter Kokosfaser“, erklärt Kevin.
Dicke Nadeln mit gelbem Kopf stecken in dem Stoff, und Kevin nimmt entschlossen eine fingerlange gebogene Polsternadel in die Hand und stichelt die Ecke zu. „Schau Papa, das habe ich auch schon gemacht“, sagt ungeduldig ein junges Mädchen im schwarzen T-Shirt des BBW und zieht ihren Vater zu der gegenüberliegenden Ausstellungsbucht, die mit verschiedenen Fußbodenbelägen ausgestattet ist.
Das BBW in Karben hatte am Wochenende zu einem Tag der offenen Tür eingeladen. Hunderte von Eltern, Freunden, Ehemalige und interessierte Jugendliche sind gekommen. Sie ziehen durch die Werkstätten, um sich über die Ausbildung von jungen Menschen mit Behinderung zu informieren, besichtigen das Wohndorf und machen Pause vor der Bühne, auf der ab Mittag Musiker auftreten.
Genau 25 Jahre ist es her, dass das BBW seine Tore für junge Leute öffnete, die wegen einer Lernbehinderung oder psychischen Störungen Förderung und Unterstützung brauchen. Etwa 500 junge Männer und Frauen ab 16 Jahre werden aktuell im BBW ausgebildet, nehmen an berufsvorbereitenden Maßnahmen oder Arbeitserprobungen teil. Die Ausbildungsberufe reichen von Tischler und Metallarbeiter bis zu Raumausstatter, Maler und Lackierer, Gärtner und Floristin, Köche, Fachkraft im Gastgewerbe, Textilreiniger oder Kaufmann in Büro und Einzelhandel. In jeder Werkstatt stehen die Auszubildenden Rede und Antwort, erklären Arbeitsvorgänge und erzählen von ihrer Ausbildung. „Mir liegt das Bodenverlegen“, bekennt Kevin offen und erzählt, dass er Aussicht auf eine Stelle in Gießen habe. Ein mehrmonatiges Praktikum, das Teil seiner Ausbildung war, hat ihm bei einem Bodencenter die Tür geöffnet. „Unsere Jugendlichen sind leistungsfähig, wenn man sie nur lässt“, sagt Andreas Jung, Bereichsleiter Raum-Farbe-Mode. Jeder Auszubildende werde individuell gefördert und sei einer Gruppe mit Ausbilder, Fall-Manager, Berufsschullehrer und Betreuer zugeordnet.
Schon schwirrt der nächste Besuchertrupp herein, und diesmal ist es Giovanna, die Raumausstatterin mit Schwerpunkt Mode und Dekoration, die durch die Werkstatt führt und schließlich fachmännisch eine Gardine aufhängt. Bereichsleiter Jung beobachtet zufrieden, wie sich die Auszubildenden präsentieren. „Selbstbewusst und sich ihrer Fähigkeiten bewusst, so wünschen wir es uns, darauf arbeiten wir hin“, sagt er. Die Rehabilitationsfachdienste präsentieren sich, für das Projekt „Ausbildung trifft Kunst“ werden Pflastersteine verkauft. Auch Kooperationspartner wie die Kurt-Schumacher-Schule haben Stände. Hunderte von Menschen bevölkern das Gelände, inspizieren Werkstätten und Wohndorf, erleben Theater, Tanz, Musik. Und am Abend wartet die fetzige Musik der „Blind Foundation“. (ado)