Zwanzig Zentimeter Heckenhöhe können aus Nachbarn erbitterte Gegner machen. Bevor sie vor Gericht klagen, müssen sie zunächst zu einer Schiedsperson gehen. Karl-Ludwig Hengstermann (66) berichtet aus seinem Alltag. Der Bad Vilbeler möchte die Kontrahenten wieder ins Gespräch bringen und mit Kompromissen Frieden stiften.
Bad Vilbel. In seinem Büro im Erdgeschoss des Rathauses strahlt Karl-Ludwig Hengstermann beruhigende Autorität aus: sonore Stimme, freundlicher Blickkontakt, nur wenige Gesten – aber klare Worte. 2015 ist er vom Stadtparlament für fünf Jahre als Schiedsperson für die Stadtteile Dortelweil, Heilsberg, Gronau und Massenheim gewählt worden.
Ein Amt mit langer Tradition, erzählt er. Schon 1827 habe man sie nach preußischem Recht geschaffen. Inzwischen gibt es bundesweit 4640 solcher Stellen mit 10 000 Schiedspersonen. Und es gibt viel Arbeit: Bundesweit klagen jährlich eine Million Nachbarn.
Streitpunkt Heckenhöhe
Bevor sie die Gerichte lahmlegen, hat der Gesetzgeber die Notbremse gezogen und bittet zur Mediation. Bei einer ganzen Reihe von Konflikten vom Hinüberfall von Früchten (§ 919 BGB), dem Überwuchern von Bäumen (§ 923 BGB) bis zu vermögensrechtlichen Ansprüchen unter 750 Euro sind Bürger verpflichtet, ein außergerichtliches Schlichtungsverfahren zu absolvieren. Das Schiedsamt führt auch Sühneversuche bei Strafsachen durch: vom Hausfriedensbruch bis zu Beleidigung und vorsätzlicher Sachbeschädigung.
Doch die 13 bis 15 Fälle im Jahr, die bei Hengstermann landen, sind meist klassische Nachbarschaftskonflikte. „Die gängige Geschichte ist die Höhe einer Hecke“, berichtet er: „Der eine will Sichtschutz, der andere Sonne.“ Dahinter stecken tiefe Konflikte: „Das rumort oft jahrelang, Absprachen werden nicht eingehalten.“ Dann kommen die Klagen: „Der Nachbar macht das nicht!“ Hengstermann entgegnet dann freundlich: „Haben Sie schon mit ihm gesprochen?“
Wenn der Schiedsmann den Antrag übernimmt, werden die Kontrahenten ganz offiziell zur Aussprache gebeten: Ihr persönliches Erscheinen wird von Amts wegen angeordnet, sonst droht ein Zwangsgeld. Hengstermann möchte das aber nicht als Drohung verstanden wissen – ganz im Gegenteil. Anders als Richter sei er nicht an den rechtlichen Rahmen gebunden, könne mit den Parteien „grundsätzlich alles vereinbaren“. Und er beginnt oft mit den beruhigenden Worten: „Erzählen Sie menschlich frei, was Sie möchten.“
Das biete drei große Vorteile: Neben den geringen Kosten von 30 bis 50 Euro sei es auch der Wegfall des Klagerisikos, denn „auch Richter urteilen individuell.“ Vor allem aber ein Vorteil sticht für den Schiedsmann heraus: „Im Gegensatz zu einem Gerichtsurteil gibt es nur Gewinner, keine Verlierer.“ Und das bedeute, dass der nachbarschaftliche Friede möglich wird, während eine Niederlage vor Gericht den Konflikt erst eskalieren lasse.
Bei seinen Fällen habe er es nur zwei Mal erlebt, dass die Kläger es nur auf die „Erfolglosigkeitsbescheinigung“ abgesehen hatten, um doch vor Gericht ziehen zu können. Meist aber habe es eine Annäherung gegeben. Die steuert Hengstermann mit viel Erfahrung an, lässt sich nicht emotional auf die Konflikte ein, sondern sucht nach Lösungen.
Das hat er auch in seinem früheren Berufsleben bei einer großen Bank getan. Dort war Hengstermann Beauftragter für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, musste zwischen Management und Betriebsrat vermitteln.
Ausdruck tiefer Konflikte
Auch bei seinen Klienten ist Fingerspitzengefühl gefragt. Einmal ging es um eine Hecke, die, wie rechtlich zulässig, zwei Meter hoch war. Die Heckenbesitzerin nannte als Grund: „Ich will meine Nachbarin nicht sehen.“ Hengstermann nahm Maß, riet, die Hecke auf 1,80 Meter zu kürzen, die Nachbarin ist 1,70 Meter groß.
Oft mache das Recht ohnehin nur allgemeine Vorgaben, der Paragraf 1004 BGB fordere, „dass niemand behindert werde“. Was bei Ärger über den nachbarlichen Grillgeruch nicht weiterhelfe. Da könne man vorschlagen, den Grill woanders aufzustellen. Oft aber seien solche Ärgernisse nur Ausdruck tieferer Konflikte und eine Retourkutsche: „Ich ärger’ mich, weil der sein Auto vor meiner Einfahrt parkt.“
„Es ist Sinn und Zweck, dass sich zerstrittene Personen, aber auch Handwerker und Vereine wieder ins Gespräch kommen“, betont Hengstermann. Doch es bleibt nicht nur bei der Aussprache. Die Konfliktparteien unterzeichnen anschließend ein Protokoll zu ihrer Vereinbarung. Das ist dann für 30 Jahre lang ein vollstreckbarer Titel. Der Schiedsmann sieht darin jedoch nicht immer einen Vorteil.
Die Gesellschaft werde, etwa im Straßenverkehr, immer aggressiver, zugleich wachse die Bereitschaft, Konflikte an amtliche Stellen zu delegieren. Er erinnert sich daran, dass freche Sprüche von Jugendlichen früher von den Eltern im Gespräch abgeklärt worden seien: „Heute kommt die Kriminalpolizei wegen Beleidigung zu einem 17-Jährigen“, erzählt er – und erinnert sich an einen Spruch aus einer Jura-Vorlesung: „Das BGB auf dem Nachttisch garantiert noch keine gute Ehe.“ Hengstermann wird also auch in Zukunft noch genug Arbeit haben.
Vom Gericht vereidigt
Die Schiedspersonen werden zwar vom Stadtparlament gewählt, müssen aber vom zuständigen Amtsgericht geprüft und vereidigt werden. Als Schiedsperson ist Heiderose Schulte-Buchta für die Bad Vilbeler Kernstadt zuständig. Sie ist erreichbar unter der Telefon-Nr. (0 61 01) 49 70 66. Karl-Ludwig Hengstermann ist erreichbar unter (0 61 01) 58 22 25. Über Aufgaben und Zuständigkeiten des Schiedsamtes informiert die Internetseite www.schiedsamt.de. (dd)