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Europa, der Brexit und die Briten

Von „unserem Mann aus London“

Christian Schnee
Christian Schnee

Der Brexit, also der per Referendum gewählte Ausstieg der Briten aus der Europäischen Union, ist dieser Tage als Gesprächsstoff in aller Munde. Und durch den Bad Vilbeler Partnerschaftsverein mit der englischen Stadt Glossop auch in Bad Vilbel ein besonderes Thema. Daher baten wir einen Kenner der englischen Verhältnisse, den in London lebenden Bad Vilbeler Dr. Christian Schnee, um seine Ansicht zum Brexit.

Von Dr. Christian Schnee

London/Bad Vilbel/Karben. „Ich bin dezidiert der Auffassung, dass die Briten 1:1 spüren müssen, was es bedeutet, die Union zu verlassen“, tippte empört der Hattersheimer Europaabgeordnete Michael Gahler am frühen Morgen nach dem Referendum. Auf Facebook ließ sich der CDU-Politiker darüber aus, dass Großbritannien künftig schlechter gestellt werden müsse als Norwegen und gemeinsam mit anderen Politikern in Brüssel warb er dafür, das Vereinigte Königreich nun im Schnellgang aus der EU zu expedieren. Die Verbitterung und der Ärger der politischen Elite in EU-Kommission und Parlament sind nicht zu überhören und werfen die Frage auf, ob vielleicht der eine oder andere in der Aufregung des Moments etwas missverstanden haben könnte.

Das Referendum über den Brexit war eine demokratische Entscheidung über die wohl wichtigste Frage, die man in Europa Wählern stellen kann. Erstaunlich ist, dass gerade in Brüssel so wenig Sympathie aufkommt für die Idee, den Menschen die Entscheidung über die Zukunft ihres Landes zu überlassen. Trotz aller Risiken und Furcht vor ökonomischen Verwerfungen haben die Briten gegen den ausdrücklichen Wunsch von Regierung, Industrieverbänden und Gewerkschaften votiert. Ist das nicht ein Zeichen erstaunlicher demokratischer Kultur, die man gerade in Deutschland anerkennen sollte, wo die politische Elite Richtungsentscheidungen über den Euro, die Rettung Griechenlands und über die Flüchtlingspolitik gegenüber den Bürgern gerne mal als „alternativlos“ deklariert, um damit Widerspruch und Gegenrede zu entkräften?

Vielleicht war das Referendum für den Brexit ein großer Fehler, vielleicht schadet es der Volkswirtschaft und kostet Arbeitsplätze. Aber ganz sicher ist das Votum der Briten ein Zeichen demokratischen Mutes und Symbol für die Freiheit des Wählers, dem Diktat vermeintlicher ökonomischer Vernunft und Beschwörungen der Alternativlosigkeit zu trotzen.

Ich erinnere mich, wie einmal der Bad Vilbeler Christdemokrat Tobias Utter die überraschende Kandidatur eines noch neuen Parteimitglieds auf einer Delegiertenversammlung mit den Worten begründete: „Für eine Wahl ist es wichtig, dass man Auswahl hat.“

Die Briten hatten Auswahl und haben gewählt. Für die Demokratie ist das eine gute Nachricht. Daran sollten wir denken.


Dr. Christian Schnee (42) aus Bad Vilbel, arbeitet als Senior-Lektor für Public Relation (PR) an der Universität von Greenwich in London.