Nieder-Erlenbach. Archäologische Funde im Frankfurter Stadtteil Nieder-Erlenbach belegen erneut, wie lange die Region im Norden von Frankfurt bereits besiedelt ist. Nur einen Katzensprung von Bad Vilbel entfernt haben Archäologen bereits fast 900 Funde gemacht.
Wie mag er wohl ausgesehen haben, der letzte Tag des Ur-Erlenbachers oder auch Ur-Massenheimers, der vor rund 7000 Jahren am Westrand von Nieder-Erlenbach bestattet wurde, nur wenige Hundert Meter vom Bad Vilbeler Ortsteil Massenheim entfernt?
Bei den Erschließungsarbeiten des dortigen Neubaugebiets stießen Wissenschaftler auf ein steinzeitliches Dorf aus der Zeit von etwa 5500 vor Christus. Eine Sensation im Rhein-Main-Gebiet, denn es ist bisher nur eine Siedlung dieses Alters gefunden worden, direkt nebenan in Nieder-Eschbach.
»Das Gebiet ist wirklich groß, wir haben gut zu tun«, sagt Andrea Hampel, Leiterin des Frankfurter Denkmalamtes, und blickt von einem großen Erdhaufen herab auf die vielen Löcher und Gruben in der Erde, die ihre Kollegen ausgehoben haben. »In Frankfurt ist es so, dass archäologische Funde meist knapp unter dem Boden gemacht werden können. Das Relief ist nicht so stark.«
Einen Hausgrundriss von 5500 vor Christus haben die Archäologen freigelegt, Hampel deutet auf schwarze Linien im Boden. Schwarzerde, die heute noch markiert, wo sich einst Wände und Stützbalken befunden haben.
Keinesfalls primitiv
»Die Steinzeit vor 7000 Jahren war nicht so primitiv, wie man sich das vielleicht vorstellt. Ein steinzeitlicher Handwerker konnte all das, was ein Handwerker im Mittelalter auch konnte. Die Leute waren Meister des Hausbaus«, sagt die Expertin und bekommt von ihrem Ausgrabungsleiter eine Kiste mit Funden überreicht. Darin ein längliches Stück Stein mit einer scharfen Kante an einer der kurzen Seiten. »Mit diesem Dechsel konnten große Bäume gefällt werden, die für den Hausbau benötigt wurden«, erläutert Hampel. Meistens seien das Eichen gewesen, ganze neun davon wurden für eines der Wohnhäuser in der steinzeitlichen Siedlung benötigt. Für den Menschen der Neuzeit unglaublich, doch hätten Experimente gezeigt, dass dieses so einfache Werkzeug selbst gegen große Bäume sehr effektiv einzusetzen ist.
»Hier in der Gegend haben Menschen sehr lange gesiedelt. Die Häuser wurden ab und zu natürlich erneuert. Um das zeitlich alles einordnen zu können, hilft uns Keramik«, sagt Hampel. Zwei verschiedene Keramikstücke hält sie in der Hand, eines eher fein verziert, das andere mit recht groben Streifen. »Wir wissen sozusagen, welche Muster und Techniken wann in Mode waren und können deshalb relativ genau datieren, wann hier Menschen gelebt haben.« Für das grobe Stück seien die Bandkeramiker verantwortlich, wie das steinzeitliche Volk in Fachkreisen heißt. Wie sich die Menschen damals nannten, ist nämlich nicht bekannt. »Das andere Stück stammt eher aus der Bronzezeit. Etwa 4000 Jahre später.«
Hinweise auf Handel
896 Funde haben die Wissenschaftler bis vor Kurzem schon gemacht, darunter auch zwei Gräber. Doch seien diese und die Überreste der Menschen darin sehr schlecht erhalten. »Wichtig ist für uns vor allem auch der Abfall. Wir haben Feuersteine gefunden, die von der Ostsee oder aus Südfrankreich importiert worden sind.« Es habe auch in der Steinzeit Verteilzentren und Handel gegeben.
Dort, wo die Archäologen sehr abgenutzte importierte Werkzeuge finden, können sie darauf schließen, dass die Siedlung weit von einem Verteilzentrum entfernt gewesen ist, denn viel Nachschub an neuem Feuerstein gab es dann offenbar nicht.
Viele Erkenntnisse erwarten die Wissenschaftler, doch erst nach sehr hohem Arbeitsaufwand: »Es dauert Monate, bis wir hier durch sind, aber die Zusammenarbeit mit dem Bauherrn und der Stadt läuft super«, sagt Hampel.
Gerne hätten die Archäologen die Öffentlichkeit zu einer Besichtigung der Ausgrabungsstätte eingeladen, doch Corona habe sie davon abgehalten. »Die Funde werden dem Archäologischen Museum in Frankfurt übergeben, die dann entscheiden, ob sie eine Ausstellung machen wollen«, erklärt Hampel. Doch auch Ortsvorsteher Yannick Schwander (CDU) liegt viel daran, den Menschen der Region die Funde ihrer vor 7000 Jahren verstorbenen Nachbarn zugänglich zu machen. »Wir werden prüfen, ob wir selbst eine kleine Ausstellung hier in Nieder-Erlenbach machen können.«