Karben. Ein Sorgenkind ist der städtische Pflegedienst seit Jahren für die Stadtverordneten. Durchweg erwirtschaftete er rote Zahlen, 2009 allein 91 000 Euro, berichtet Stadtrat Gerhard Cornelius (CDU). Viel schlimmer als die Stadt aber hat die Arbeit der Sozialstation wohl ihre Kunden getroffen. Ärztlich verordnete pflegerische Leistungen wurden nicht umgesetzt. Das hat der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) herausgefunden, als er die Sozialstation im August prüfte. Note: mangelhaft. Zum gleichen Urteil kam der MDK in Sachen Pflegedokumentation. Und sie kritisieren, dass die Mitarbeiter nicht regelmäßig in Erster Hilfe ausgebildet werden. „Das sind nicht nur kleine Strukturmängel“, findet FW-Fraktionschef Michael Ottens. „Hier ist Gefahr im Verzug.“ Denn als Folge des Urteils des MDK droht die AOK der Stadt, zum Jahresende die Zulassung für die Sozialstation zu entziehen, wenn sie nicht einschreitet.
Als Verantwortliche für die Lage beim Pflegedienst macht die Koalition aus CDU, FW und FDP den bisherigen Sozialdezerneten und Stadtrat Jochen Schmitt (SPD) und seine Partei aus. „Das ist die desolateste Leistung in den letzten Jahren“, schimpft Ottens. „Was er verbrochen hat, ist wirklich unter aller S…“ Schmitt habe abgenickt, dass Pflegedienstleiter Rolf Ochs seinen Job auf eine halbe Stelle reduziere – obwohl für den Betrieb der Sozialstation gesetzlich eine volle Stelle vorgeschrieben ist, erläutert Stadtrat Cornelius. Er berichtet auch von übermäßigen Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit: 2008 habe Ochs 11 000 Euro dafür statt geplanter 1600 Euro ausgegeben, im Jahr darauf sogar 31 000 statt 3000. Damit habe europaweit für den Pflegedienst geworben werden sollen, berichtet Ottens. „Obwohl er seine Leistungen nur in Karben anbietet und hier die Zahl der Pflegenden zurückging.“
Ob überhaupt eine Gegenleistung für das Geld erbracht worden sei, lasse sich nicht mehr herausfinden – denn die Zahlungen seien an Briefkastenfirmen in Luxemburg und Tschechien gegangen, erklärt Ottens. Er habe den Überblick verloren, soll Rolf Ochs zur Begründung gesagt haben.
Die SPD sitze bei der Verantwortung im Boot, weil diese seit Jahren eine Privatisierung des Pflegedienstes blockiert habe, erinnert Michael Ottens. Diese habe auch der damalige Bürgermeister Roland Schulz (SPD) gewollt, Schmitt und die Partei seien aber dagegen gewesen. Daher habe Schulz 2007 die Zuständigkeit für die Sozialstation an Schmitt übergeben. Zu den Vorwürfen äußert sich SPD-Fraktionschef Thomas Görlich nur knapp: „Hier wurde nichts getürkt.“ Allerdings brachten die Details über den Pflegedienst die SPD während der Parlamentssitzung in Petterweil zum Umdenken: Anfangs kritisierten die Genossen noch, dass der Magistrat keine Alternativen zum Übergang an den ASB vorgelegt habe. „Caritas und Rotes Kreuz sind auch interessiert“, so Görlich. „Bitte stellen Sie das auf solide Füße.“ Als die Stadt im Sommer nach einem Betreiber gesucht habe, habe außer dem ASB kein anderer Interesse gehabt, widerspricht Cornelius. Außerdem habe der ASB von sich aus da bereits der Stadt bei ihren Problemen unter die Arme gegriffen. Nun sei eine schnelle Entscheidung erforderlich.
So wandelten die Genossen letztlich ihr Nein in Stimmenthaltungen um. Alle übrigen Stadtverordneten segneten die Not-OP ab.
Der Betrieb der Sozialstation läuft inzwischen wieder in geregelten Bahnen: Als Sofortmaßnahme hatte der ASB bereits im Oktober die Leitung von Rolf Ochs übernommen. Der Ex-Chef arbeitet nun als Halbtags-Pflegekraft. (den)