Karben. Sie sind nach Deutschland geflüchtet aus der Ukraine. Und hier gehen die Kinder nun auch zur Schule. Doch wie soll das gehen, ohne die deutsche Sprache zu sprechen? Damit sie diese erlernen, gibt es für die Jungen und Mädchen in der Karbener Selzerbach- sowie in der Pestalozzischule kreativen Sprachunterricht. An der Selzerbachschule mit Oksana Ebert. Sie ist Landsfrau der ukrainischen Kinder, und sie ist unverzichtbar für das Deutschprojekt.
Wie selbstverständlich versammelt sich eine Gruppe Kinder um einen Tisch, auf dem Bastelmaterialien ausliegen. Die anderen sind schon auf ihre Plätze zurückgekehrt und bauen eifrig Musikinstrumente. Trommeln und Rasseln sollen entstehen. Darum geht es in den verbleibenden Schulstunden an der Selzerbachschule in Klein-Karben.
Ganz nebenbei lässt sich beobachten, wie sich die gemeinsame Kreativität auf die Gruppendynamik auswirkt: Die Kinder unterstützen sich gegenseitig und kommen miteinander ins Gespräch. Am besten natürlich auf Deutsch. Denn Deutschlernen ist oberstes Ziel für die 16 Jungen und Mädchen. Die meisten von ihnen sind Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine, vier Kinder stammen aus anderen Ländern.
Bindeglied zwischen Kindern, Eltern, Schule
Das Projekt an der Selzerbachschule läuft schon das ganze Schuljahr 2022/23. Auch an der Pestalozzischule in Groß-Karben können ausländische Schülerinnen und Schüler die deutsche Sprache kreativ erlernen. Unterrichtet werden sie von pädagogischen Fachkräften des Mütter- und Familienzentrums (Müze) Karben.
Oksana Ebert ist Landsfrau der ukrainischen Kinder und gewissermaßen das Bindeglied zwischen ihnen, ihren Eltern und der Schule in Klein-Karben. Die Leiterin des Müze-Minikindergartens ist für die Organisation des Deutschprojekts unverzichtbar. Ergänzend dazu besteht an der Selzerbachschule seit Schuljahresbeginn eine Intensivklasse. »Allein mit unserem Stammpersonal könnten wir das ganze Angebot nicht stemmen«, räumt Rektorin Petra Matthes-Ahäuser ein.
Das Verhältnis, das Oksana zu ihren kleinen Schützlingen aufgebaut hat, zeugt von gegenseitiger Zuneigung. Sie zeigt zur Tafel und lacht. »Schau nur«, sagt sie, »da vorne steht mein Name. Diese Stunde haben die Kinder nach mir benannt.«
Natürlich weiß sie, wie wichtig eine Vertrauensperson für die Kleinen ist. Vor allem eine, die deren Muttersprache spricht. »Einige sind traumatisiert nach Deutschland gekommen, Deutschkenntnisse hatten sie anfangs überhaupt nicht«, berichtet Oksana. Ihr Vorteil sei, dass sie die Familien kenne und Kontakt zu den Eltern habe. Allgemein lege man in den Familien großen Wert auf schulische Bildung. »Ganz oft sind ukrainische Kinder stark in Mathematik«, hebt die Pädagogin hervor. »Das Lernen anderer Sprachen fällt ihnen dagegen nicht immer ganz so leicht.«
Dieser Lernprozess findet nicht nur im Klassenraum, sondern auch auf dem Schulhof statt. Dort funktioniert die Verständigung fast automatisch beim Spielen und Herumtoben mit den anderen Kindern. Die Spielgefährten erklären sich die Wörter und Sätze dann quasi selbst.
Schulleiterin Matthes-Ahäuser ist vom Nutzen dieser spielerischen Kommunikation überzeugt. »Auch auf diesem Weg lässt sich Sprache erlernen«, unterstreicht sie. Eine Sache dürfte den Kindern am deutschen Schulsystem aber ganz sicher nicht gefallen: Drei Monate Sommerferien wie in der Ukraine gibt es hier nicht.
Anrufe teilweise
direkt an die Front
Oksana Ebert kennt sich in der Gefühlswelt ihrer Schützlinge gut aus. Nicht alle erzählen von ihren Erlebnissen in der Heimat, aber einige tun es schon. Schwierig wird es, wenn die Kleinen von ihren Papas erzählen, die gegen die Russen kämpfen. »Einige telefonieren fast täglich übers Handy in die Ukraine«, schildert Oksana die Situation. »Teilweise gehen die Anrufe direkt an die Front. Sie vermissen ihre Papas sehr und haben große Angst davor, dass ihnen etwas zustoßen könnte.«
Die Bevölkerung in Deutschland und auch in der Ukraine scheint den Krieg inzwischen irgendwie als Routine ins Alltagsleben eingebettet zu haben, könnte man meinen. »Wenn überhaupt sind es Einzelschicksale, die bewegen, nicht mehr so sehr die ›großen Bilder‹ in den Medien«, hat Petra Matthes-Ahäuser festgestellt. Aber eigentlich war das auch noch nie anders: Krieg besitzt immer die perverse Fähigkeit, den Menschen relativ schnell Normalität vorzugaukeln.
Von Jürgen Schenk
Sponsoren willkommen
Oksana Ebert und ihre Kollegin Michaela Eichwede vom Müze Karben machen darauf aufmerksam, dass zur Fortsetzung des Schulprojekts weitere Sponsoren sehr willkommen seien. Mit den Sponsorengeldern müssten zum Beispiel Personal- und Materialkosten beglichen werden. Möglichkeit zur Kontaktaufnahme per E-Mail an Oksana.Ebert@mueze-karben.de. (jsl)