Er versetzt Karben in Unruhe: Ingenieur Andreas Lichert (37) hat mit der Eröffnung eines Treffpunktes für Rechtsradikale in Groß-Karben den Zorn einer ganzen Stadt auf sich gezogen. Wer ist dieser Mensch, was sind seine Mo- tive, was droht den Karbenern noch? Ein Besuch, der viele Widersprüche aufzeigt.
Karben. Nicht mehr ganz frisch sei er gerade, entschuldigt sich Andreas Lichert (37). Weil gerade mit dem Fahrrad unterwegs gewesen. Darauf weist allerdings nichts hin. Die kurze Hose und das Polohemd sind völlig ordentlich. Drei Gläser hat er unterm Arm. Seine Frau schließt die Tür zu den früheren Geschäftsräumen im Haus in der Groß-Karbener Bahnhofstraße auf.
Einige graue Polsterstühle stehen herum. Die Wände sind weiß und, bis auf ein Poster, kahl. Niedrige Metallregale stehen im Schaufenster, darauf sind einige Broschüren ausgelegt. In weißen Regalen stehen einzelne Bücher, liegen Broschüren aus. „ESM – Verfassungsputsch in Europa“, „Deutsche Opfer, fremde Täter“, „Post-Demokratie“ lauten einige der Titel.
Einladung folgt Distanz
Die Publikationen stammen aus Reihen der Neuen Rechten. Kein Wunder: Lichert ist Vorsitzender des „Vereins für Staatspolitik“. Der trägt das „Institut für Staatspolitik“ mit Sitz in Sachsen-Anhalt und seinen Publikationen. Das Institut gilt Fachleuten als Denkfabrik für die Neuen Rechten in Deutschland.
Solche Hintergründe lassen aufhorchen. Gänzlich wach wurde die Nachbarschaft, als im Mai Aufkleber der vom Verfassungsschutz beobachteten „Identitären Bewegung“ im Schaufenster der „Projektwerkstatt“ auslagen. Der Hausherr hatte der Gruppe dort ein Treffen ermöglicht. Das löste eine breite Protestwelle in der Bevölkerung und allen demokratischen Parteien aus. Die „Identitären“ seien nur „zufällig die ersten“ gewesen, sagt Lichert. „Ich bin kein ,Identitärer‘, kein Mitglied dort und auch nicht mit denen organisatorisch verbunden.“ Aber er habe Verständnis für die Reaktionen: „Viele Bürger sind beunruhigt, das wäre ich ja auch“ – angesichts der „verantwortungslosen Berichterstattung“. Doch gäben die Aussagen der „Identitären“ eine „Vorverurteilung als Extremisten nicht her“, findet Lichert.
In deren Eigendarstellung im Internet klingt das anders. „Jeden ,Identitären‘ drängt es zur Tat“, erklärt die Gruppe vieldeutig. Ihre Anhänger beschimpfen in Netzwerken im Internet Kritiker und kritische Berichterstattung – bis hin zu persönlichen Angriffen auf Politiker und Lokaljournalisten. Das, sagt Lichert, habe nichts mit seiner „Projektwerkstatt“ zu tun.
Licherts Umfeld selbst bietet den Radikalen jedoch Nahrung. Einer der führenden Köpfe des „Instituts für Staatspolitik“ ruft in einem Blog-Eintrag dazu auf, den „Karbener Arschlöchern den Alltag ungemütlich zu machen, und zwar so richtig“. Das hat die Polizei auf den Plan gerufen (die FNP berichtete).
Der Autor habe damit „vielleicht über die Stränge geschlagen“, räumt Lichert ein. Doch verstehe er, wenn sich die Anhänger nun „mit Internet-Scharmützeln“ gegen die Angriffe aus Karben wehrten. In diesem Moment fällt Licherts Frau ihrem Mann ins Wort: „Das ist nicht zu entschuldigen.“
Vor fünf Jahren ist Licherts Frau zu ihrem Mann nach Groß-Karben gezogen. Ihren Vornamen mag die 34-Jährige derzeit nicht öffentlich genannt wissen. In ihrem Beruf hat sie viele internationale Kontakte. Unter der „Projektwerkstatt“ leide das Verhältnis der Familie zu den Menschen in der Nachbarschaft schon, sagt Frau Lichert. Dieser Tage stellten sie und ihr Mann sich den Fragen des Vorstands der evangelischen Kirchengemeinde. Und Frau Lichert schloss sich dem „Bündnis offenes Karben“ an.
Treff für junge Rechte
Warum aber hat Andreas Lichert überhaupt seine „Projektwerkstatt“ gestartet? „Ein Zufallsprodukt“ sei sie, „die Flächen wurden frei und es wird ja im Herbst gewählt.“ Da habe er den Karbenern „das Thema Euro“ näher bringen wollen. Aber Euro-Kritik allein ist nicht Licherts Ziel: Er wolle Raum bieten für Jugendliche. „Jugendliche mit patriotischer Grundeinstellung“ hätten kaum eine andere Möglichkeit, als sich der NPD-Jugendorganisation anzuschließen. Bei ihm aber seien „die freiheitlich-demokratische Grundordnung und die Unantastbarkeit der Menschenwürde nicht diskutierbar“.
Wieder fällt ihm seine Frau ins Wort: „Und die Religionsfreiheit.“ Kein Wunder, schließlich liegt der Laden direkt neben der Moschee der Groß-Karbener Ditib-Gemeinde. Es sei „tragisch“, dass sein Verhältnis dorthin nun so belastet sei, sagt Andreas Lichert. „Ich schätze den Imam und seine Arbeit sehr.“
Das Karbener Bündnis habe dem Ingenieur nahe gelegt, seine Räumlichkeiten wieder zu schließen. „Das als Treffpunkt zu nutzen, ist illusorisch geworden“, gesteht Lichert selbst ein. „Ich muss zur Kenntnis nehmen, dass man das hier nicht haben will.“ Daher werde es bei ihm keine Veranstaltungen der „Identitären“ mehr geben. „Ich fahre keinen Angriff auf den bürgerlichen Konsens.“
Mit dem Bürgermeister würde er gerne mal sprechen, sagt Lichert. „Ich habe keine Lust, als Dorfnazi abgestempelt zu werden“, sagt er. „Das bin ich nicht.“ (den)