40 Jahre lang wurde geplant, gut zwei Jahre lang gebaut. Seit Mittwoch der Vorwoche ist der erste Abschnitt der Karbener Nordumgehung für den Verkehr offen.
Karben. Ursula Baumgartl (75) kämpft mit den Tränen. Der Moment ist für sie ein ganz besonderer, als sie mit dem Auto als Erste über den neuen Streckenabschnitt fährt. Es ist der Wagen, den noch ihr Mann Rudolf gekauft hatte. Er war einer der ganz großen Kämpfer für die Karbener Nordumgehung.
Kein Wunder: Das Haus der Baumgartls lag in der Bahnhofstraße in Groß-Karben. Tausende Autos und Laster donnern jeden Tag durch die Ortsdurchfahrt – nur gut einen Meter vor den Fenstern. Im Haus wackelt alles, der Lärm nervt.
40 Jahre geplant
Schon zu Zeiten der Stadtgründung Karbens 1970 begann die Planung für die Nordumgehung. Doch außer Gutachten, Planwerken, großen Reden geschah nichts. Die aktuelle SPD-Bürgermeisterkandidatin Susanne Kassold ist an diesem Mittag bei der Eröffnung nicht vor Ort, meldet sich nur per Pressemitteilung. Darin erinnert sie daran, dass die Forderung nach der Straße „schon 1971 von der SPD-Mehrheitsfraktion erhoben wurde“.
Gerd Hermanns ist fassungslos darüber. „Die Karbener SPD hat nie die Nordumgehung gefordert“, erklärt Hermanns. „Nur die Groß-Karbener SPD hat das gefordert.“ Er war in den 1980er-Jahren deren Chef. Heute ist er bei der CDU, zuvor war er bei den Freien Wählern.
Etwas später posiert Stadtrat Michael Ottens mit zwei Mitstreitern der Freien Wähler mit Überresten des zerschnittenen Sperrbandes. „Erfolg hat viele Väter“, sagt er und lacht. Die Idee, dass die Stadt die Anwohner per Extra-Lärmschutzwall besänftigt, die stamme von ihm.
Erst Detlev Engels Nach-Nachfolger Guido Rahn (CDU) hatte den gordischen Knoten durchschlagen. Mit Anwohnern, die gegen die Straße klagten, einigte er sich und organisierte beim Land den raschen Baubeginn via Vorfinanzierung. Anfang 2012 rollten die Bagger.
20 Millionen Euro kostet die 3,2-Kilometer-Verbindung von der B 3 am Rewe-Center zu den Straßen nach Burg-Gräfenrode und Heldenbergen. Seit Mittwoch ist der Ostast zwischen der Burg-Gräfenröder Straße und dem Heldenberger Weg fertig.
Bald wieder gesperrt
Die Eröffnung sei zwar „ein bedeutsamer Schritt“, sagt Alexander Pilz, Regionaler Bevollmächtigter der Landesstraßenbehörde „Hessen Mobil“. Doch biete der erste Abschnitt „einen nicht so großen Entlastungseffekt“. Denn nur Fahrten zwischen Heldenbergen und Burg-Gräfenrode werden schneller.
„Aber wir sind auf der Zielgeraden“, sagt Pilz. Im Spätsommer, schätzt er, könne die Entlastungsstraße komplett fertig sein. Nach Möglichkeit während der Sommerferien soll laut Karbens Verkehrsplaner Ekkehart Böing der Anschluss an die B3 gebaut werden.
Einziger Wermutstropfen: Kaum wird die Umgehung fertig, wird die Straße nach Heldenbergen saniert und wohl anderthalb Jahre lang gesperrt. Früher wollte der Main-Kinzig-Kreis die Sanierung nicht bezahlen. „Das ist nicht zu verstehen“, schüttelt Guido Rahn den Kopf. Doch selbst Wetterau-Landrat Joachim Arnold (SPD) konnte seinen Amtskollegen Erich Pipa nicht umstimmen.
Dennoch: „Wir erfahren bald eine enorme Verbesserung unserer Lebensqualität“, sagt Harald Ruhl, Sprecher der Bürgerinitiative „Nordumgehung jetzt!“ Die kämpfte seit 2006 für die Entlastung. Von Anfang an waren die Baumgartls dabei. Als 2011 klar war, dass das Jahrhundertprojekt Realität wird, jubilierte auch Rudolf Baumgartl.
Posthum Traum erfüllt
Der Werkzeugmachermeister hatte die Schilder gebaut und bemalt, die überall entlang der Straße für die Umgehung warben. „Sein Traum war, dass er es noch erlebt und als erster über die Nordumgehung fährt“, erzählt Ursula Baumgartl. Doch von einem Schlaganfall 2011 erholte er sich nicht mehr.
Nun sitzt seine Witwe alleine im Auto. Während alle nach dem offiziellen Schnitt durchs Band noch auf der Straße feiern, rollt sie langsam auf die Nordumgehung. Kurz hält sie an, Bürgermeister und Landrat grüßen. Ursula Baumgartl bekommt kein Wort heraus. Ihre Augen sind feucht. Sie schaut die noch nie benutzte Straße entlang.
Dann rollt Ursula Baumgartl fort von den Feiernden, ganz alleine die Nordumgehung hinauf. Ein paar Menschen schauen hinterher, bis sich die Sicht auf den Wagen im dezembergrauen Nieselregen verliert. (den)